Die Zusammenkunft
in der Management-Etage der Fluggesellschaft gearbeitet hatte, hatte sie so manchen Psychotrip der Kollegen miterleben müssen und war oft zum Blitzableiter für Frust und Ärger geworden. Sie hatte gelernt, Angriffe oder Reaktionen dieser Art nicht persönlich zu nehmen. Was Paul anging, so war sie sicher, dass sie nichts falsch gemacht hatte und wenn doch, dann glaubte sie sagen zu können, dass er genug Schneid besaß, sie dafür zur Rede zu stellen. Also gab sie ihm die Freiheit, sich auch mal zu ärgern, solange er seinen Ärger nicht auf seinen Fahrstil übertrug.
Während sie fuhren, fiel die Anspannung der letzten Stunden von Sirona ab. Sie schmunzelte innerlich, als sie sich das Bild von heute Morgen zurückrief. Sie gab nie freiwillig ihren Kaffee ab und Paul hatte in der Küche gestanden, als wenn er zur Familie gehörte. Selbst ihre Mutter benahm sich völlig normal, als wenn alles schon immer so gewesen wäre. Paul verlangsamte das Tempo und lenkte den Wagen in eine langgestreckte Rechtskurve. Dann hielt er an. Sirona öffnete die Augen.
Sie fuhren durch eine schöne, grüne, leicht hügelige Landschaft. Selbst der Wind roch nach frischem Grün. Grün, die Farbe, die in Sirona immer dieselbe Erinnerung aufsteigen ließ.
Sie schwiegen weiter, da Sirona nicht das Gefühl hatte, dass Paul sich unterhalten wollte. Schließlich fuhren sie durch wunderschöne Alleen, die sich in langgezogenen Kurven vor ihnen durch die Landschaft wanden. Dann wurde der Wagen noch langsamer und Paul bog in eine Art Waldweg ein. Nach zwei Windungen standen sie vor einem großen Tor, das von der Straße aus nicht einsehbar gewesen war. Links und rechts ragten mächtige Steinmauern in die Höhe.
»Mein Gott, Paul, ist Ihr Kollege menschenscheu?« Kaum hatte sie ihre Überraschung ausgesprochen, öffnete sich das Tor wie von Zauberhand. Beim Durchfahren entdeckte Sirona kleine verborgene Kameras an beiden Seiten der Toreinfahrt. Man erwartete sie also schon.
›Jetzt wird es aber doch schon ein bisschen gruselig‹, dachte Sirona. Vielleicht wartete ja ein kleiner knautsch iger Professor auf sie, der so starke Paranoia hatte, dass er sich und seine wirren Erfindungen vor der Umwelt derart verschanzen musste. Sirona schmunzelte und lehnte sich entspannt zurück, während sie gut anderthalb Kilometer weiter durch den Wald fuhren. Dieses Grundstück musste riesig sein. Sie hob erstaunt die Augenbrauen, als sich der Wald lichtete. Vor ihr öffnete sich eine unbeschreiblich weitläufige, wunderschön gepflegte Parklandschaft mit einer grünen Rasenfläche, auf der mehrere Fußballfelder Platz gehabt hätten. Aufgelockert wurde sie durch hübsche, teilweise blühende Büsche, die den Blick auf die enorme Weite des Parks nicht verstellten. Unter den Rädern des Wagens knirschte der weiße Kies. Dann sah sie es, das Haus, das eigentlich kein Haus war, sondern ohne weiteres als Schloss durchgehen konnte, mit seiner breiten, langen Treppe. Das Haus hatte drei Etagen und musste mehrere Jahrhunderte alt sein. Sirona sah im Geiste schon die überdimensional hohen, mit Stuck verzierten Decken.
»Wahnsinn!«, staunte sie. »Das ist ja ein Traum. Wer wohnt hier, Paul?«
Paul fuhr ein Stück am Eingang vorbei und hielt dann den Wagen an. Als er den Zündschlüssel abzog, sagte er: »Das ist Castello Del Guardiano Della Spada, hier wird nächsten Samstag das Sommerfest stattfinden.«
Sirona blickte ihn an und erschrak.
Paul starrte regungslos aus dem Fenster. Plötzlich ließ er den Kopf nach vorne fallen und atmete schwer durch. Als er sie endlich ansah, hätte Sirona ihn am liebsten in den Arm genommen, so viel Kummer, so viel Trauer lag in seinem Blick.
»Paul, was ist los? Du machst mir Angst, wie kann ich dir helfen?«
Er schwieg, als ob er nach Worten suchte. Sirona löste ihren Sicherheitsgurt.
»Paul, rede mit mir, was ist los?«
Endlich holte er tief Luft, fasste Sirona an den Schultern und drehte sie zu sich herum. Sein Griff war so fest, dass er Sirona weh tat.
»Sirona, ich habe Ihnen gesagt, dass Sie mir vertrauen können...«
»Das tue ich, Paul ganz bestimmt.« Irritiert ignorierte sie, dass er wieder zum Sie übergegangen war.
»Hören Sie mir jetzt gut zu und schweigen Sie bitte, es ist wichtig!«
Sirona bekam Angst – Angst um Paul.
»Sie müssen mir vertrauen, denn dass Sie dies können ist die einzige Wahrheit, die Sie über mich kennen.«
»Das Einzige? Was meinst du damit?«
»Mein Name ist Taamin und mein
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