Die Zusammenkunft
entsprach dem Motiv der Deckenmalerei aus der Halle. Danach bildeten immer zwei Bilder eine Einheit. Auf dem einen war stets Darken zu sehen, auf dem zweiten Bild jeweils eine Frau. Die Bilder stellten immer wieder dieselben Personen dar, aber immer in einer anderen Epoche. Es lagen jeweils mindesten zweihundert Jahre zwischen den Bildern, das konnte Sirona an der Kleidung erkennen.
Sie schritt die Bilder mit schnellen Schritt en ab. Alle zeigten den gleichen Mann, alle die gleiche Frau. Es war immer dieselbe, es war stets die Amazone, die gegen genau diesen Mann gekämpft hatte. Auf dem ersten Bild trug die Amazone, im Gegensatz zu der in der Deckenmalerei, keine goldene Gesichtsmaske, daher erkannte Sirona sie sofort.
Inzwischen rannte sie förmlich den langen Gang en tlang an den Bildern vorbei, bis sie abrupt stehenblieb. Dieses Bild kannte sie – das hatte sie schon einmal gesehen. Es musste vom Ende des 17. Jahrhunderts stammen … und es war grün …
Sie blieb vor dem Bild stehen und flüsterte: »Grün, Efeu, Friedhof, ein Grab, viel Efeu, mein Grab, ein Mann vor dem Grab, die Trauer, er zerbricht an meinem Tod. Der Mann in meinen Bildern war auch dunkel, trug einen langen schwarzen Mantel und einen hohen Zylinder. Er hatte dunkle wellige Haare und seine Trauer war schier unfassbar. Es war dieses Bild.«
Sie sah zu Darken hinüber, der sie regungslos die ganze Zeit über beobachtet hatte, jede ihrer Reaktionen. Seine Augenbrauen waren zusammengezogen und er blickte ernst, schien hochkonzentriert, als wenn er das, was vor ihm geschah, nicht richtig einordnen konnte.
Sirona kam auf ihn zu. »Das sind immer wieder Sie und ich. Wer sind Sie, wer bin ich?« Sie zeigt auf das alte Gemälde. »Ich habe diese Szene schon einmal gesehen, in einer Rückführung, es hat mir keine Angst gemacht!«
Sie lief zurück zu dem Bild mit der Amazone. »Ich habe auch diese Szene schon einmal gesehen. Immer wieder in meinen Träumen, hinter dem Hotel vor einigen Wochen! Wer bin ich? Wer sind Sie?« Ihre Stimme klang schrill. Er wollte gerade einen Schritt auf sie zu machen, als sie die Hand hob und sie auf das Bild mit der Amazone legte.
Sie fühlte Schmerz in der linken Seite, Hass und Wut. Sie wollte nur noch töten und fühlte, wie ihr Arm niede rstieß. Ihr Puls dröhnte in ihren Ohren. Dann fühlte sie das Entsetzen, das in sie einschlug. Sie sah hellblaue Augen, die überrascht und voller Liebe zu ihr heraufsahen, spürte den endlosen Schmerz der Erkenntnis in ihr Herz schießen. Sie stöhnte, sie schwankte.
»Nein, das darf nicht sein! Nein, bitte nicht!« Sie würgte.
Plötzlich wurde sie von starken Händen nach hinten gerissen. Sie prallte heftig gegen Darken, der sie gepackt haben musste. In dem Moment, als der Kontakt zwischen ihrer Hand und dem Bild abbrach, war sie wieder im Hier und Jetzt. Sie spürte die Realität, sein schlagendes Herz, wie er sie hielt und an sich drückte, damit sie nicht stürzte. Sie ließ ihren Kopf nach hinten an seine Brust fallen und kämpfte mit geschlossenen Augen gegen den Nachhall der Übelkeit. Ihr Atem ging schnell, sie schwankte.
Darken legte einen Arm um ihre Schulter und einen Arm unter ihre Kniekehlen, dann hob er sie hoch und trug sie hinaus aus der Galerie und in sein Schlafzimmer. Er legte sie auf die rechte Seite seines Bettes und öffnete die beiden Flügelfenster zur Terrasse, die zum Garten hinausführte. Von hier aus sah man nur einen Teil der Gäste vor dem Haus. Frische Luft durchflutete das Zimmer.
Sirona hatte sich schon wieder erholt und saß bereits auf dem Bett. Sie blickte ihn an, stand auf und ging auf ihn zu. Sie wirkte noch etwas unsicher auf den Beinen und hielt sich an der hohen Steinmauer fest, die die Terrasse umschloss.
Darken trat hinter sie »Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht solche Schmerzen zufügen.«
Sie drehte sich um und sah ihm in die Augen. »Es waren nicht meine Schmerzen, damit hätte ich umgehen können, denn die hören immer irgendwann in meinen Träumen auf. Ich habe Ihren Schmerz gefühlt. Gesehen, wie Sie mich sahen und wie Ihnen der Schmerz der Erkenntnis ins Herz stieß. Es waren Ihre Worte, die ich sprach, es war der Schmerz, den Sie noch immer in sich tragen.«
Darken starrte sie an.
»Es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Leid zugefügt habe«, sagte sie, dann senkte sie den Kopf und ging an ihm vorbei, hinaus aus seinem Schlafzimmer, die breite Treppe hinunter. Sie öffnete die schwere Tür und schritt hinaus
Weitere Kostenlose Bücher