Die Zwanziger Jahre (German Edition)
Turniers einen hervorragenden Fußball spielten, sondern auch, weil sie den WM -Titel schließlich als eine kleine sportliche Wiedergutmachung für das mitnehmen konnten, was ihnen ein halbes Jahr zuvor widerfahren war. Mit dem sportlichen Triumph konnten sie zwar das Leid und Unglück nicht rückgängig machen, doch sie schenkten den Menschen zu Hause wenigstens ein Stück Freude. Wir haben das 1954 in Deutschland in ähnlicher Weise erleben dürfen.
Wenn man vom Sportlichen absieht, hat die Frauenfußball-Weltmeisterschaft selbst unsere optimistischsten Erwartungen übertroffen. 771 419 Zuschauer kamen in die Stadien, allein fast 74 000 zum Eröffnungsspiel in Berlin. Der Besucherschnitt lag bei mehr als 25 000, die Auslastung lag weit über den 80 Prozent, die wir uns erhofft hatten. Und das alles ohne Ausschreitungen, ohne Pyrotechnik, ohne verbale oder gar handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen überhitzten Fans. Die Einschaltquoten in ARD und ZDF , die alle Spiele übertrugen, waren geradezu sensationell. Und wohlgemerkt nicht nur bei den deutschen Spielen, wo stets zwischen 14 und 17 Millionen Frauen und Männer vor dem Fernseher saßen. Wenn die Brasilianerinnen, die US -Girls oder die Japanerinnen spielten, schauten nicht selten mehr als sechs Millionen Deutsche zu. Und auch nach dem Ausscheiden von Silvia Neids Team sahen achteinhalb Millionen das Viertelfinalspiel zwischen Japan und Schweden, mehr als fünfzehn Millionen sogar das Endspiel. An diesem Abend hat jeder zweite Deutsche, bei dem der Fernseher lief, Frauenfußball geschaut: Japan gegen USA . Wer hätte das vor vierzig Jahren für möglich gehalten?
Wohin entwickelt sich der deutsche Frauenfußball? Die WM 2011 hat weitere Grundlagen gelegt, nun geht die Arbeit weiter.
Frauenfußball ist Leistungssport, aber er hat zugleich eine gesellschaftliche Dimension. Unser Land wird größere Konflikte nur vermeiden können, wenn Diskriminierung bekämpft und Integration gefördert wird. Der Fußball bildet dafür eine herausragende Chance. In unserem Land leben viele muslimische Mädchen, denen die Rollenmodelle ihrer Religion einen Zugang zum Fußball schwerer machen als ihren Altersgenossinnen. Wir müssen in den Schulen und Vereinen ansetzen, um dieses Rollenverständnis zu überwinden.
Der Fußball ist für alle da – Glaube und Hautfarbe dürfen keine Rolle spielen. Das müssen wir behutsam und überzeugend auch ihren Eltern und Großeltern verdeutlichen, die aus einer völlig anderen Tradition kommen. Ein Kopftuch darf kein Hindernis für Mädchen sein, Fußball zu spielen. Ich freue mich darüber, dass die Regelkommission IFAB neben der Torlinien-Technologie auch das Kopftuch beim Kicken endlich grundsätzlich erlaubt hat. Das wird hoffentlich vielen Mädchen den Zugang zum Fußball erleichtern.
Zudem brauchen wir Vorbilder wie die Nationalspielerinnen Lira Bajramaj oder Celia Okoyino da Mbabi, die Fußballerin des Jahres 2012. Celia ist die Tochter einer französischen Mutter und eines Vaters aus Kamerun, geboren in Bonn und herausragende Spielerin beim Bundesligisten SC Bad Neuenahr. Sie war auch dabei, als wir kurz vor der WM in einer »Tatort«-Folge mitspielen durften. An der Seite von Ulrike Folkerts und Andreas Hoppe stand auch Steffi Jones vor der Kamera, und sogar Joachim Löw und Oliver Bierhoff wirkten in Nebenrollen mit.
Dieser Krimi, der mit mehr als acht Millionen Zuschauern eine beachtliche Einschaltquote hatte, sollte zeigen, wie es muslimischen Mädchen vonseiten des Elternhauses häufig schwer gemacht wird, ihrem Hobby nachzugehen, aber auch, dass es inzwischen viele mutige Mädchen gibt, die ihre Religion und das Fußballspielen in Einklang bringen können. Auch wenn wieder einige meinten, ich hätte mich mit dem Fernsehauftritt nur profilieren wollen, so ging es mir um die Sache. Wenn man Tabus aufbrechen und gesellschaftliche Strukturen verändern will, dann muss man alle Möglichkeiten nutzen, diese Botschaften auch medial zu verbreiten. Und dazu kann auch einmal ein »Tatort« gehören.
In den Schulen müssen wir Projekte wie das von Sportwissenschaftler Ulf Gebken entwickelte Projekt »Mädchen mittendrin – Mehr Chancen für Mädchen durch Fußball« für Grundschülerinnen intensiv weiterführen und es über die Ganztagsschulen mit unseren Vereinen verbinden. Ziel muss es sein, dass jedes Mädchen – gleich welcher Hautfarbe, gleich welchen Glaubens – in Vereinen und Schulen Fußball spielen kann. Dazu
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