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Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Die Zwanziger Jahre (German Edition)

Titel: Die Zwanziger Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theo Zwanziger
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Schachzug schnell durchschaut, wie viele meiner Parteikollegen im Norden. Doch für mich war dies eine schwierige Situation, denn ich empfand neben meinem Einsatz für die politischen Interessen des Nordens auch die Verbundenheit zu Vogel und konnte seine Erfolge für das Land durchaus anerkennen. So glaubte ich, zur Beruhigung der Lage beitragen zu können, indem ich Vogels Ruf folgte und meine Zusage gab, Kultusminister in seinem Kabinett zu werden.
    Doch die Aufregung nahm eher noch zu. Ständig tagten Parteizirkel, die Diskussionen erreichten auch die Landtagsfraktion. Es war klar, dass mit Vogels Personalentscheidungen andere geeignete Nachfolgekandidaten für den Parteivorsitz – wie unser Bezirksvorsitzender Rudi Geil oder auch der frühere Fraktionsvorsitzende Hans-Otto Wilhelm aus Mainz, der seit der Landtagswahl 1987 als Umweltminister im Kabinett saß – klein gehalten werden sollten.
    Der einflussreiche Parteistratege Wilhelm kündigte an, beim nächsten Landesparteitag gegen Vogel für den Parteivorsitz zu kandidieren, und brachte mich in eine knifflige Lage. Keiner wollte am Ministerpräsidentenamt rütteln, aber ich hielt es für normal, dass Vogel gegen Ende seiner erfolgreichen Karriere die Macht teilte und den Willen der Basis respektierte, indem er den Parteivorsitz abgab. Ich hielt Wilhelm für den geeigneten Mann, doch wenn ich ihn offen unterstützte, würde ich mich gegen meinen eigenen Ministerpräsidenten stellen, der mich zum Kultusminister berufen wollte.
    So bat ich Bernhard Vogel um ein Sechs-Augen-Gespräch mit Rudi Geil, das in eisiger Atmosphäre in Vogels Büro in der Staatskanzlei stattfand. Der Ministerpräsident konnte nicht begreifen, dass ich in Entscheidungsnöten war. Ich versuchte ihm den Gedanken nahezubringen, dass es auch in seinem eigenen Interesse klüger sei, den Weg für einen neuen Parteichef frei zu machen. Aber darüber war mit ihm nicht zu reden. Ein Sozialdemokrat hat mir mit Blick auf Vogels Bruder Hans-Jochen, den »roten« Vogel, einmal gesagt: »Wenn ein Vogel sich etwas in den Kopf gesetzt hat, ist er davon nicht mehr abzubringen.«
    Als Vogel merkte, dass ich tatsächlich dazu tendierte, mich auf Wilhelms Seite zu schlagen, ließ er eine Bemerkung fallen, die mir den Rest gab. Ich hab sie heute noch im Ohr: »Herr Zwanziger, ich weiß gar nicht, was Sie wollen. Ich bin doch viel populärer als der Kohl!« Dieser Satz knabberte an mir, ich empfand ihn als anmaßend. Ich war immer ein großer Anhänger von Helmut Kohl und bin es bis zum heutigen Tag.
    Also informierte ich meinen Bezirksvorsitzenden Rudi Geil, der in Vogels Kabinett Innenminister war, auf der Rückfahrt über meine Entscheidung: Ich würde das Angebot, Kultusminister zu werden, ablehnen und Hans-Otto Wilhelm wählen. Geil hatte Verständnis, bat mich aber, noch eine Nacht darüber zu schlafen. Doch auch am nächsten Morgen blieb ich bei meinem Entschluss.
    Das folgende Telefonat mit Bernhard Vogel war nicht sehr angenehm: Er betrachtete mich als Verräter und sieht das wohl auch heute noch so. Seit jenen Herbsttagen 1988 habe ich nie wieder ein Wort mit ihm sprechen können.
    Anschließend teilte ich dem Bezirksvorstand meine Entscheidung mit. Dort war die Stimmung eindeutig: Der Norden stand geschlossen auf Wilhelms Seite. Trotzdem glaubte keiner, dass Wilhelm die Abstimmung gewinnen würde – auch ich nicht. Ich wusste, dass meine Haltung persönliche Konsequenzen haben musste. Mein Amt als Regierungspräsident würde ich wohl aufgeben müssen, denn das Vertrauensverhältnis zum Ministerpräsidenten war zerrüttet.
    Bernhard Vogel erklärte, sollte man ihn als Parteivorsitzenden abwählen, würde er auch als Ministerpräsident zurücktreten. Damit glaubte er seine Position zu stärken, doch die Aufregung wurde nur noch größer. In der Partei verstand man das als ungerechtfertigtes Ultimatum, ja als Erpressung; viele konnten nicht begreifen, warum Vogel kein Entgegenkommen zeigte.
    So kam es also in Koblenz am 11. November1988 , an diesem wunderbaren Datum mit karnevalistischem Hintergrund, zu jenem denkwürdigen Parteitag, über den auch bundesweit ausführlich berichtet wurde. Helmut Kohl, der rheinland-pfälzische Bundeskanzler, nahm nicht teil und griff offiziell auch nicht in die Diskussion ein. Er schickte seinen Generalsekretär Heiner Geißler, der sich formal für Vogel aussprach. Die Delegierten hatten jedoch nicht den Eindruck, dass er dies aus vollem Herzen tat, schließlich

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