Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
inzwischen von Rosen bedeckt, es gibt Hunderte verschiedener Sorten. Pfirsich- und Aprikosenbäume stehen in voller Blüte, die Judasbäume an den Ufern des Bosporus haben eine purpurrote Farbe angenommen.
Can sagte mir, bald würde auch der goldgelbe Ginster blühen, ebenso die Geranien, Bougainvilleen, Hortensien und viele weitere Blumen. Dieses Fleckchen Erde ist ein wahres Paradies für Parfümeure, und ich habe das große Glück, hier wohnen zu dürfen. Sie fragen mich nach den Prinzeninseln, sie sind mit ihrer üppigen Vegetation herrlich, und der Hügel von Üsküdar steht ihnen nicht nach. Nach der Arbeit gehe ich oft mit Can in einem der kleinen Cafés in den verborgenen Parks von Istanbul eine Kleinigkeit essen.
In einem Monat, wenn es heißer wird, werden wir am Strand baden können. Sehen Sie, ich bin hier so glücklich, dass ich beinahe etwas ungeduldig werde. Der Frühling ist noch nicht einmal zur Hälfte vergangen, und ich erwarte bereits voreilig den Sommer.
Lieber Daldry, ich weiß nicht, wie ich Ihnen je dafür danken kann, dass ich mit Ihrer Hilfe dieses Leben kennengelernt habe, das mich geradezu berauscht. Ich liebe die Stunden, die ich bei dem Parfümeur von Cihangir verbringe, ich liebe meine Arbeit im Restaurant von Mama Can, die so freundlich zu mir ist, dass sie für mich fast wie eine Verwandte geworden ist. Und die Milde der Istanbuler Abende, wenn ich nach Hause gehe, ist wunderbar.
Ich würde mich so über Ihren Besuch freuen, und wenn es auch nur eine Woche wäre, um Ihnen all diese Schönheiten zu zeigen, die ich entdecke.
Es ist spät, die Stadt schläft bereits, ich muss es ihr nachtun.
Ich umarme Sie und schreibe Ihnen so bald wie möglich wieder.
Ihre Freundin
Alice
PS . Sagen Sie Carol, dass sie mir fehlt, dass ich mich freuen würde, von ihr zu hören.
Kapitel 13
Auf dem Weg zum Restaurant hielt Alice an, um den Brief an Daldry einzuwerfen. Als sie schließlich die Küche betrat, wurde sie Zeuge einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Mama Can und ihrem Neffen. Mama Can verstummte plötzlich und warf Can warnende Blicke zu, die Alice nicht entgingen.
»Was ist los?«, fragte sie und band ihre Schürze um.
»Nichts«, erwiderte Can, doch seine Augen sagten genau das Gegenteil.
»Dabei sieht es ganz so aus, als hätten Sie sich gestritten.«
»Eine Tante wird sich doch wohl noch mit ihrem Neffen streiten dürfen, ohne dass dieser es ihr gegenüber an Respekt mangeln lässt und die Augen verdreht«, antwortete Mama Can wütend.
Can ging hinaus und schlug die Tür hinter sich zu.
»Das scheint ja eine ernstere Angelegenheit«, fuhr Alice fort und trat zu Mama Cans Mann, der sich am Herd zu schaffen machte.
Der wandte sich mit einem Kochlöffel zu ihr um und ließ sie das Ragout probieren.
»Köstlich«, sagte Alice.
Der Koch wischte sich die Hände an der Schürze ab und ging wortlos in den angebauten Schuppen, um eine Zigarette zu rauchen. Er bedachte seine Frau mit einem aufgebrachten Blick und schlug dann ebenfalls die Tür hinter sich zu.
»Nette Stimmung«, meinte Alice.
»Die beiden verbünden sich immer gegen mich«, schimpfte Mama Can. »Wenn ich mal sterbe, werden mir die Gäste lieber auf den Friedhof folgen, als sich von den beiden Dickköpfen bedienen zu lassen.«
»Wenn Sie mir sagen würden, was passiert ist, könnte ich vielleicht Partei für Sie ergreifen. Dann wäre das Kräfteverhältnis ausgeglichen.«
»Mein schrecklicher Neffe ist ein zu guter Lehrer, und du lernst zu schnell unsere Sprache. Can sollte sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und du ebenfalls. Geh ins Lokal, statt hier herumzustehen, oder siehst du Gäste in der Küche? Nein, also los, sie warten darauf, bedient zu werden. Und wag bloß nicht, die Tür hinter dir zuzuknallen.«
Das ließ Alice sich nicht zweimal sagen. Sie stellte den Stapel Teller, die der Küchenjunge gerade abgetrocknet hatte, auf dem erstbesten Regalbrett ab und ging mit ihrem Block in der Hand in die Gaststube, die sich zu füllen begann.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, hörte sie, wie Mama Can ihren Mann anbrüllte, er solle seine Zigarette ausmachen und sofort an den Herd zurückkehren.
Der Abend verging ohne weitere Zwischenfälle, aber jedes Mal, wenn Alice in die Küche kam, stellte sie fest, dass Mama Can und ihr Mann kein Wort miteinander wechselten.
Montags beendete Alice ihre Arbeit nie sehr spät, die letzten Gäste verließen das Restaurant gegen elf Uhr. Sie
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