Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)
räumte auf, nahm ihre Schürze ab und verabschiedete sich von dem Koch-Ehemann, vom Küchenjungen und schließlich von Mama Can, die sie mit einem eigenartigen Blick bedachte.
Can hockte draußen auf einer kleinen Mauer und erwartete sie.
»Aber wo waren Sie denn? Sie haben sich aus dem Staub gemacht wie ein Dieb. Und was haben Sie mit Ihrer Tante angestellt, um sie in einen solchen Zustand zu versetzen? Wegen dieser Dummheiten haben wir alle einen grässlichen Abend verbracht, sie hatte unglaublich schlechte Laune.«
»Meine Tante ist störrischer als ein Maultier. Wir haben uns gestritten, das ist alles, morgen ist es bestimmt wieder gut.«
»Und darf ich erfahren, warum ihr euch gestritten habt? Schließlich hatte ich die Folgen zu tragen.«
»Wenn ich es Ihnen sage, wird sie noch wütender und der morgige Abend noch schwieriger.«
»Warum?«, fragte Alice. »Betrifft es mich?«
»Ich darf nichts sagen. Aber genug geredet, es ist schon spät, ich bringe Sie nach Hause.«
»Can, ich bin kein kleines Mädchen mehr, und Sie müssen mich nicht jeden Abend begleiten. In den letzten Monaten hatte ich Zeit genug, mir den Weg zu merken. Das Haus, in dem ich wohne, liegt schließlich am Ende der Straße.«
»Es ist nicht nett von Ihnen, sich über mich lustig zu machen. Ich werde immerhin dafür bezahlt, dass ich mich um Sie kümmere. Ich tue nur meine Arbeit, wie Sie die Ihre im Restaurant tun.«
»Wie, Sie werden dafür bezahlt?«
»Mister Daldry schickt mir noch immer jede Woche eine Überweisung.«
Alice sah Can nachdenklich an und wandte sich dann wortlos ab. Er lief ihr nach.
»Ich tue das auch aus Freundschaft.«
»Erzählen Sie mir jetzt nicht, es sei Freundschaft, nachdem Sie bezahlt werden«, sagte sie und beschleunigte den Schritt.
»Beides ist nicht unvereinbar, und abends sind die Straßen nicht so sicher, wie Sie denken. Istanbul ist eine große Stadt.«
»Aber Üsküdar ist ein kleines Dorf, wo jeder jeden kennt, das haben Sie mir x-mal wiederholt. Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe, ich kenne den Weg.«
»Gut«, seufzte Can, »ich schreibe an Mister Daldry, dass ich sein Geld nicht mehr will. Passt Ihnen das?«
»Was mir gepasst hätte, wäre gewesen, dass Sie mir früher erzählt hätten, dass er Sie weiter bezahlt, damit Sie sich um mich kümmern. Dabei hatte ich ihm geschrieben, dass ich seine Hilfe nicht mehr brauche. Aber wie ich feststelle, macht er wieder einmal, was er will, und das ärgert mich.«
»Warum ärgern Sie sich, weil Ihnen jemand hilft? Das ist doch absurd.«
»Weil ich ihn um nichts gebeten habe und von niemandem Hilfe brauche.«
»Das ist noch absurder, man braucht im Leben immer jemanden, niemand kann große Dinge allein vollbringen.«
»O doch, ich schon!«
»O nein, auch Sie nicht! Würden Sie es schaffen, Ihren neuen Duft ohne die Hilfe des Parfümeurs von Cihangir zu entwickeln? Hätten Sie ihn gefunden, wenn ich Sie nicht hingeführt hätte? Hätten Sie den Konsul getroffen oder Mister Zemirli oder den Schullehrer?«
»Übertreiben Sie nicht, der Schullehrer, das war nicht Ihr Verdienst.«
»Und wer hat entschieden, die Straße zu nehmen, die an seinem Haus vorbeiführt? Wer?«
Alice blieb stehen und wandte sich zu Can um. »Sie sind von unglaublicher Bösgläubigkeit. Aber gut, ohne Sie wäre ich weder dem Konsul noch Mister Zemirli begegnet, ich würde nicht im Restaurant Ihrer Tante arbeiten und nicht in Üsküdar wohnen, und wahrscheinlich hätte ich auch Istanbul längst verlassen. All das habe ich Ihnen zu verdanken, sind Sie jetzt zufrieden?«
»Sie wären auch nicht durch die Gasse gegangen, in der sich die Schule befindet!«
»Ich habe mich entschuldigt, wir wollen nicht den ganzen Abend darüber reden.«
»Ich habe nicht genau verstanden, zu welchem Zeitpunkt Sie sich entschuldigt haben, und Sie hätten keine dieser Personen getroffen und auch meine Tante nicht kennengelernt oder das Zimmer bewohnt, das sie Ihnen vermietet, wenn Mister Daldry mich nicht eingestellt hätte. Sie könnten Ihre Entschuldigung fortsetzen und sich auch bei ihm bedanken, zumindest im Geist. Ich bin sicher, das würde auf die eine oder andere Art zu ihm vordringen.«
»Das tue ich in jedem Brief, den ich ihm schreibe, Herr Moralapostel, aber vielleicht sagen Sie das nur, damit ich ihm in meinem nächsten nicht verbiete, Ihnen Geld zu überweisen.«
»Wenn Sie nach allem, was ich für Sie getan habe, wollen, dass ich meine Stelle verliere, so ist das Ihre
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