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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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großen Thunfischfänger.
    Den ganzen Sommer über streifte Alice durch die Häfen am Bosporus. Sobald ein Fischerboot anlegte, lief sie zum Kai und fragte die Seeleute, ob ihnen ein gewisser Rafael Kachadorian bekannt sei.
    So vergingen Juli, August und September.
    An einem milden Herbstsonntag im September lud Can Alice zum Abendessen in jenes kleine Restaurant ein, das Daldry damals so gut gefallen hatte. Bei diesem Wetter waren die Tische auf der Terrasse am Kai gedeckt.
    Plötzlich unterbrach Can das Gespräch. Mit großer Zärtlichkeit ergriff er Alices Hand.
    »Es gibt einen Punkt, in dem ich unrecht hatte, und einen anderen, in dem ich noch immer recht habe«, sagte er schließlich.
    »Erzählen Sie«, forderte Alice ihn auf.
    »Bezüglich der Freundschaft zwischen einem Mann und einer Frau habe ich mich geirrt, denn Sie sind meine Freundin geworden, Miss Alice Anouche Pendelbury.«
    »Und in welchem Punkt haben Sie noch immer recht?«
    »Dass ich wirklich der beste Führer von Istanbul bin«, rief Can aus und lachte.
    »Daran habe ich nie gezweifelt«, gab Alice zurück und fiel in sein Lachen ein, »aber warum sagen Sie mir das gerade jetzt?«
    »Wenn Sie einen männlichen Doppelgänger haben, dann sitzt der zwei Tische hinter Ihnen.«
    Alice hörte auf zu lachen, wandte sich um, und was sie sah, verschlug ihr den Atem.
    An besagtem Tisch aß ein Mann, der etwas jünger war als sie selbst, mit einer Frau zu Abend.
    Alice erhob sich. Die wenigen Meter, die sie von ihm trennten, schienen ihr unendlich.
    Als sie vor ihm stand, entschuldigte sie sich für die Störung und fragte ihn, ob sein Vorname Rafael sei.
    Die Züge des Mannes erstarrten, als er im schwachen Licht der Lampions das Gesicht der Fremden sah, die ihm diese Frage stellte. Er erhob sich und versenkte seinen Blick in den ihren.
    »Ich glaube, ich bin Ihre Schwester«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ich bin Anouche, und ich habe dich überall gesucht.«

Kapitel 15
    »Ich fühle mich wohl in deinem Haus«, sagte Alice und trat ans Fenster.
    »Es ist klein, aber von meinem Bett aus sehe ich den Bosporus.«
    »Weißt du, Rafael, ich glaubte nicht an das Schicksal und die kleinen Zeichen im Leben, die uns angeblich den Weg weisen. Ich glaubte nicht an Wahrsagerinnen oder Kartenlegerinnen, die einem die Zukunft voraussagen. Ich glaubte nicht an glückliche Fügungen und noch weniger daran, dich eines Tages zu treffen.«
    Rafael erhob sich und ging zu Alice. Ein Frachtschiff fuhr gerade in die Meerenge ein.
    »Glaubst du, dass die Hellseherin von Brighton Yayas Schwester sein könnte?«
    »Yaya?«
    »So hast du unsere Kinderfrau früher genannt, du konntest ihren Namen nicht richtig aussprechen. Für mich ist sie immer Yaya gewesen. Sie hat mir erzählt, nachdem ihre Schwester nach Brighton ausgewandert sei, habe sie kein Lebenszeichen mehr von ihr erhalten. Sie war geflohen, und ich glaube, dass sich Yaya in gewisser Weise dafür geschämt hat. Wenn sie es tatsächlich war, könnte man wirklich sagen, dass die Welt klein ist.«
    »Das musste sie wohl sein, damit ich dich wiederfinden konnte.«
    »Warum siehst du mich so an?«
    »Weil ich dich stundenlang ansehen könnte. Ich glaubte, allein dazustehen, und nun habe ich dich.«
    »Und was hast du jetzt vor?«
    »Ich werde mich definitiv hier niederlassen. Ich habe einen Beruf – eine Leidenschaft –, der es mir vielleicht eines Tages ermöglichen wird, nicht mehr in Mama Cans Restaurant zu arbeiten und mir eine größere Wohnung zu leisten. Außerdem will ich zu meinen Ursprüngen zurückkehren, die verlorene Zeit aufholen, dich kennenlernen.«
    »Ich bin zwar oft auf dem Meer, aber ich glaube, es würde mich glücklich machen, wenn du bliebest.«
    »Und du, Rafael, hattest du nie Lust, die Türkei zu verlassen?«
    »Wohin sollte ich gehen? Sie ist das schönste Land der Welt und meine Heimat.«
    »Und hast du den Tod unserer Eltern verzeihen können?«
    »Das war nötig. Nicht alle waren Komplizen. Denk an Yayas Familie, die uns gerettet hat. Die, die mich erzogen haben, waren Türken, und sie haben mich Toleranz gelehrt. Das ist die einzig richtige Antwort auf die Unmenschlichkeit der Tausende von Schuldigen. Sieh aus dem Fenster, wie schön Istanbul ist.«
    »Hattest du nie das Bedürfnis, nach mir zu suchen?«
    »Als Kind wusste ich nichts von deiner Existenz. Erst an meinem sechzehnten Geburtstag hat Yaya mir von dir erzählt, und das auch nur wegen einer Indiskretion ihres Neffen. An diesem

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