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Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Leben der Alice Pendelbury: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Levy
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in einer Stunde an der Bar treffen.«
    Und eine Stunde später, während er auf Alice wartete, machte Daldry Cans Bekanntschaft. Der saß auf einem der vier Hocker vor der Theke und ließ seinen Blick durch den leeren Raum schweifen.
    Can musste dreißig oder etwas älter sein. Er war elegant gekleidet: schwarze Hose, weißes Seidenhemd und eine Weste unter dem gut geschnittenen Jackett. Hinter einer runden Brille funkelten seine aufmerksamen, bernsteinfarbenen Augen.
    Daldry nahm neben ihm Platz, bestellte beim Barkeeper einen Raki und wandte sich diskret an seinen Nachbarn. Can lächelte ihn an und fragte ihn in fast akzeptablem Englisch, ob er eine gute Reise gehabt habe.
    »Ja, recht schnell und komfortabel«, antwortete dieser.
    »Willkommen in Istanbul«, sagte Can.
    »Woher wissen Sie, dass ich Engländer und gerade angekommen bin?«
    »Ihre Kleidung ist englisch, und gestern waren Sie noch nicht hier«, erwiderte Can ruhig.
    »Ein angenehmes Hotel, nicht wahr?«, meinte Daldry.
    »Woher soll ich das wissen … Ich wohne in Beyoğlu, aber abends komme ich oft hierher.«
    »Geschäftlich oder zum Vergnügen?«
    »Und warum sind Sie nach Istanbul gereist?«
    »Oh, das frage ich mich auch, es ist eine seltsame Geschichte. Sagen wir, wir suchen hier etwas.«
    »Hier finden Sie alles, was Sie wollen. Wir haben viel zu bieten. Leder, Gummi, Baumwolle, Wolle, Seide, Öl, Produkte aus dem Meer und von anderswo … Sagen Sie mir, was Sie suchen, und ich bringe Sie mit den besten Händlern der Gegend zusammen.«
    Daldry hüstelte hinter vorgehaltener Hand. »Darum geht es nicht. Ich bin nicht in Istanbul, um Geschäfte zu machen. Übrigens habe ich davon auch gar keine Ahnung, ich bin Maler.«
    »Sie sind Künstler?«, rief Can begeistert.
    »Vielleicht kann man mich noch nicht wirklich als Künstler bezeichnen, aber ich habe eine gute Maltechnik.«
    »Und was malen Sie?«
    »Kreuzungen.«
    Und angesichts Cans verblüffter Miene fügte Daldry sogleich hinzu: »Schnittpunkte von Straßen, wenn Sie so wollen.«
    »Nein, das will ich nicht. Aber wenn Sie wollen, kann ich Ihnen unsere außerordentlichen Kreuzungen hier in Istanbul zeigen, ich kenne welche mit Fußgängern, mit Karren, Straßenbahnen, Automobilen, Dolmuş – das sind unsere Sammeltaxis – und Autobussen, ganz wie Sie wollen.«
    »Wer weiß, vielleicht bei Gelegenheit … Aber auch darum bin ich nicht hier.«
    »Sondern?«, murmelte Can, dessen Neugier geweckt war.
    »Wie ich schon sagte, das ist eine lange Geschichte. Und was tun Sie im Leben?«
    »Ich bin Fremdenführer und Dolmetscher. Der beste Führer der Stadt. Sobald ich weg bin, wird der Barmann das Gegenteil behaupten, weil er sein eigenes kleines Geschäft betreibt, verstehen Sie? Die anderen Führer geben ihm heimlich einen Anteil. Bei mir gibt es kein Bakschisch, ich bin moralisch. Für einen Touristen oder einen Geschäftsmann ist es unmöglich, hier ohne einen guten Führer und Dolmetscher klarzukommen. Und wie schon gesagt, ich bin …«
    »Der beste Führer von Istanbul«, unterbrach ihn Daldry.
    »Ist mein Ruf schon bis zu Ihnen geeilt?«, fragte Can voller Stolz.
    »Es kann gut sein, dass ich Ihre Dienste in Anspruch nehmen werde.«
    »Es wäre besser, wenn Sie darüber gut nachdächten. Seinen Führer auszusuchen ist eine wichtige Sache in Istanbul, ich möchte nicht, dass Sie Ihre Wahl bereuen. Meine Kunden sind alle zufrieden.«
    »Warum sollte ich meine Meinung ändern?«
    »Weil dieser verflixte Barmann Ihnen gleich Unwahrheiten über mich erzählen wird und Sie ihm vielleicht glauben. Und außerdem haben Sie mir noch immer nicht gesagt, was Sie suchen.«
    Daldry sah Alice, die aus dem Aufzug stieg und durch die Halle auf ihn zukam.
    »Darüber reden wir morgen«, sagte Daldry und sprang auf. »Sie haben ganz recht, die Nacht bringt Rat. Wir können uns morgen hier zum Frühstück treffen, sagen wir um acht, wenn Ihnen das recht ist. Oder nein, acht ist etwas früh, mit der Zeitverschiebung ist das für mich ja noch mitten in der Nacht, sagen wir lieber um neun. Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre es mir lieber, wenn wir uns woanders sehen, vielleicht in einem Café.«
    Je näher Alice kam, desto schneller sprach Daldry. Can lächelte hintergründig.
    »Ich hatte auch früher schon ausländische Kunden«, antwortete er. »Es gibt einen Teesalon mit schmackhaftem Kuchen in der Istiklal-Straße Nummer vierhunderteinundsechzig, sagen Sie dem Taxifahrer, er soll Sie zu Lebon bringen,

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