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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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durchflutet von Sonnenlicht, das durch die großen Fenster fiel, und es duftete nach Blumen; der Raum war angefüllt mit hohen, vergoldeten Möbeln, mit Stühlen, die in buntem Lack glänzten, zahlreichen Spiegeln und einem riesigen Himmelbett mit weißen Vorhängen. Auf dem Bettrand saß eine junge Frau mit schwarzen Locken und einem komischen Spitzenhäubchen; sie trug ein hellblaues Kleid, das mir inmitten dieses triumphalen Dekors ungewöhnlich schlicht vorkam. Mit einer Hand schaukelte sie sanft eine Wiege und summte dabei leise vor sich hin. Aus dem dicken Polster aus Laken und Decken waren die leisen Töne eines Neugeborenen zu hören.
    Der Conte durchquerte eilig das Zimmer und ging auf eine zweite Tür gegenüber zu, wobei er mich einfach mit sich zerrte. Ich sah ihn fragend an, wagte aber nicht, den Mund aufzumachen, aus Angst, dass sich das, was ich sah, beim Klang meiner Stimme in Luft auflösen würde.
    »Meine Mutter«, sagte er seelenruhig.
    Der folgende Raum war eine Art Arbeitszimmer: Hier fanden sich Tische, auf denen sich Papiere und Schreibinstrumente stapelten, deckenhohe Regale voller Bücher und in einer Ecke ein gigantischer hölzerner Globus. An einem der Schreibtische saß ein korpulenter Mann in einem rüschen- und bänderverzierten Schlafrock mit spitzenbesetzten Puffärmeln; auf dem Kopf trug er eine dieser absurden, weißen Perücken, die für das achtzehnte Jahrhundert so typisch waren und die ich aus meinen Geschichtsbüchern kannte. Seine Schultern waren gekrümmt und seine Augen wirkten müde, als hätte er die Sorgenlast eines ganzen Lebens hinter sich.
    Er unterhielt sich gerade, heftig gestikulierend, mit einem Jungen von sechzehn oder siebzehn Jahren, der in einem roten Brokatrock und mit geballten Fäusten vor ihm auf und ab marschierte. Auch er trug eine Perücke, aber an den ausdrucksvollen Lippen und den smaragdfarbenen Augen erkannte ich den Conte, nur dreißig Jahre jünger.
    Es war klar, dass die beiden sich anbrüllten, aber die Stimmen schienen aus einer enormen Entfernung zu kommen, so gedämpft, dass nicht einmal das Gehör des Wolfes die Worte unterscheiden konnte.
    »Ich war etwa in deinem Alter«, murmelte der Conte, »als ich erkannte, dass mein Leben nichts wert war. Ich würde in diesem Haus leben und sterben, genau wie meine Vorfahren, und es würde niemanden interessieren, während in anderen Teilen Europas Schlachten vorbereitet wurden, die das Schicksal der Welt verändern sollten. An jenem Tag beschloss ich, dass auch ich Teil der Geschichte sein und Dinge verändern würde. Ein Krieg stand gerade vor der Tür, der erste, in den alle großen Mächte jener Zeit verwickelt sein würden, und das österreichische Kaiserreich brauchte dringend junge Männer mit flammendem Herzen. Mein Vater versuchte jedoch, mich aufzuhalten.«
    Auch dieses Zimmer hatte nur eine einzige weitere Tür, die sich an der gleichen Stelle wie die vorhergehende befand: Dahinter öffnete sich ein dunkler, enger Raum, in dem es so abstoßend nach Dreck und Kloake stank, dass ich einen Brechreiz unterdrücken musste. Ich wollte schon zurückweichen, aber der Conte hielt mich fest, wartete einen Moment, bis ich mich erholt hatte, und dirigierte mich dann mit sanfter, aber fester Hand über die Schwelle.
    Die Wände aus nacktem Stein trieften vor Feuchtigkeit, auf dem mit schmutzigem Stroh bedeckten Boden drängten sich etwa ein Dutzend Männer, die fast aufeinandersaßen, mit gesenkten Köpfen, zerrissene und verschmutzte Militäruniformen am Leib. Ich starrte sie in einer Mischung aus Ekel und Bestürzung an: Es war anders, als eine solche Szene auf der Leinwand zu sehen, wir waren in dieser Zelle. Ich spürte die eiskalte Feuchtigkeit der Luft auf der Haut, ich sah die weißen Atemwölkchen der Gefangenen, ich hörte das Ächzen und Pfeifen ihrer erschöpften Atemzüge. Sie taten mir auf schmerzvolle Weise leid.
    »Es ist leicht, sich mit siebzehn Jahren erwachsen zu fühlen«, versetzte der Conte. »Und genauso leicht ist es, zu entdecken, dass der Krieg größer ist als man selbst.«
    Die Gefangenen rutschten kraftlos zur Seite, um uns durchzulassen, aber sie sahen uns nicht an – nur einer unter ihnen hob für einen Moment den Kopf, schaute uns aus grünen, glanzlosen Augen an und sank dann wieder in sich zusammen. Wieder erkannte ich auf Anhieb die adlerhaften Züge und die schönen Lippen, selbst unter den Krusten von Schmutz, Schlamm und Blut.
    »In Wirklichkeit war dieser Krieg

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