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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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kürzer, als du ihn dir vorstellst«, sagte der Conte auf der Schwelle zu einer neuen Tür, vielleicht weil er meinen Blick bemerkt hatte. »Damals war ich übrigens schon Freimaurer; in meiner Familie gab es sie seit Generationen. Und gewisse Verbindungen öffnen viele Türen, sogar die zu einer Zelle.«
    Der nachfolgende Raum war nicht viel größer, aber um ein Vielfaches sauberer; ich spürte, wie meine Lungen sich entspannten. Ein schwaches Licht, das durch schwere Vorhänge ins Innere drang, ließ ein winziges Arbeitszimmer erkennen, nüchtern und kaum möbliert; der Conte war jetzt etwa dreißig Jahre alt und elegant in Dunkelblau und Silber gekleidet. Mit leiser Stimme sprach er zu einer dicklichen, etwa fünfzigjährigen Frau und legte ihr einige Papiere vor. Sie war in ein Kleid gezwängt, dessen Rock für das kleine Zimmerchen viel zu weit zu sein schien. Ihre Augen waren streng, kalt und berechnend. Sie gefiel mir nicht.
    »Dies waren die schönsten Jahre meines Lebens.« Ein tiefer Seufzer begleitete die Stimme des Conte. »Ich war jung, begabt, und ich hatte das Glück, zu den mächtigsten Männern und Frauen der Welt Zugang zu haben. Außerdem glaubte ich blind an die Ideale, die ich verfolgte. Ich reiste durch ganz Europa, von Hof zu Hof, als Botschafter, geheimer Vermittler, Spion. Ich trug meinen Teil zur Geschichte bei, genau wie ich es mir immer gewünscht hatte: Die Komplotte, die Gipfelgespräche, die tausend offenen und geheimen Allianzen, die für die Entstehung der heutigen Nationen verantwortlich sind, tragen auch den Abdruck meiner Hand.«
    Er blieb einen Moment auf der Schwelle stehen und starrte sein Alter Ego mit den Augen eines Kindes an, das eine Geldmünze in den Ozean geworfen hat und sie ganz langsam im Dunkel verschwinden sieht.
    »Wer ist das«, murmelte ich mit Blick auf die Frau und wagte zum ersten Mal, etwas zu sagen.
    »Maria Theresia von Österreich. Meine Kaiserin.«
    Das nächste Zimmer war sehr groß, lang gestreckt und dunkel wie ein Souterrain. Erst jetzt wurde mir klar, dass es hier offenbar keine Gänge gab. Mit dem untrüglichen Instinkt des Wolfes wusste ich plötzlich, dass wir uns auf einer Spirale zur inneren Mitte hin bewegten. Der Grundriss dieses Ortes bestand aus einer Abfolge von Sälen, die alle miteinander verbunden waren, eine obligatorische Wegführung, die in eine einzig mögliche Richtung führte: ins Zentrum.
    An den Wänden dieses Raums hingen zahlreiche Kandelaber, in denen aber nur wenige Kerzen brannten. In ihrem Lichtschein bewegten sich schwarz gekleidete Männer mit Kapuzen in einer feierlichen Prozession im Kreis, und jeder von ihnen hatte einen Gegenstand in der behandschuhten Hand: der eine ein Buch, der andere eine Lanze, der dritte einen goldenen Kelch, der vierte ein Kissen, auf dem eine einzige weiße Feder thronte.
    »Bald lernte ich, dass die Geheimnisse der Könige und der Höfe nicht die einzigen waren«, nahm der Conte den Faden wieder auf, »und dass die Kontakte meiner Familie ihre Wurzeln in sehr viel obskureren Gefilden hatten. Die Freimaurerei war diesbezüglich nur der Anfang gewesen: Ich stieß ins Labyrinth der Geheimgesellschaften vor, der esoterischen Zirkel, ich lernte von großen Meistern und wurde in mehr Mysterien eingeweiht, als ich heute noch erinnern kann. Es war ein anderer Weg zur Erfüllung meines Traumes, ein anderes Tor zu der Macht, die Dinge zu verändern. Ich war wie gemacht für diese Studien und innerhalb kürzester Zeit hatte ich Feuer gefangen, meine Neugier, mein Forschergeist waren geweckt, und je mehr ich vom Kelch der Erkenntnis trank, desto mehr Durst bekam ich.«
    Auch das nachfolgende Zimmer war von Kerzen erleuchtet, aber diesmal von sehr vielen. An einer langen, gedeckten Tafel, deren Gläser und Besteck im Licht der Flammen funkelten, saßen etwa zwanzig Gäste. Lächelnd und gestikulierend plauderten sie miteinander. Der Mann am Tischende, ein breitgesichtiger Kerl mit vorstehendem Kinn, die übliche Lockenperücke auf dem Kopf, war gerade aufgestanden und erhob nun sein Glas, was ihm alle Anwesenden nachtaten. Ein paar Plätze weiter zu seiner Rechten konnte ich den Conte ausmachen, und diesmal war er nur ein wenig jünger als jetzt; er lächelte, wie alle anderen.
    »Paris, 1792. Ich war dort, genau zu der Zeit, als die wilde Bestie hier in Mailand ein Blutbad nach dem anderen anrichtete. Die Könige hatten mich inzwischen enttäuscht. Bei den ersten Gerüchten über eine bevorstehende

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