Die zwei Monde: Roman (German Edition)
Unterirdischen gelungen war, mich zu berühren. Aber noch während ich die Verbrennungen mit halb geschlossenen Augen studierte, waren sie schon dabei zu heilen, eine nach der anderen.
Ich stand langsam auf: Auf dem Parkplatz waren nur noch der Conte und ich und die jetzt wieder stille Nacht um uns herum. Der graue Asphalt zeigte nicht die geringste Spur eines Kampfes, so als hätte ich mir alles nur eingebildet.
Ich schluckte. »Warum haben sie uns angegriffen?«, fragte ich mit heiserer Stimme. Ich hatte Durst.
»Wahrscheinlich hat unsere kleine Reise sie gestört«, erwiderte der Conte. Er hatte die ganze Zeit hinter mir gestanden und schien wenig beeindruckt von dem, was passiert war. »Geschöpfe von ihrer Natur sind sehr sensibel gegenüber den Veränderungen des Weltgewebes: Du und ich, wir haben Erinnerungen geteilt, die in eine andere Zeit gehören, wir haben unisono geträumt. Und das Volk aus der Tiefe ist hungrig nach Träumen.«
Ich sah ihm in die Augen, immer noch zitternd und alle Muskeln angespannt wie Drahtseile. »Sie wussten, was geschehen würde.«
»Ich wusste, dass es möglich ist.«
»Warum haben Sie mir nichts gesagt?«
»Weil ich auch wusste, dass wir nichts zu befürchten hatten. Weil ich wusste, dass du uns beide beschützen würdest. Und ich habe mich nicht getäuscht.«
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber es kam nichts heraus: Die Haltung des Conte war so ruhig, so sicher und gelassen, dass jede Spur von Groll aus meinem Herzen wich, wie die Überbleibsel der Unterirdischen verschwunden waren, mit denen ich gerade gekämpft hatte. Ich schwieg, schaute auf die dunklen Umrisse des Turms und wartete darauf, dass sich auch meine Erschöpfung in Nichts auflösen würde. Ich betrachtete den schattenhaften Lichtschein, der die Schultern des Conte umfing, und die Funken, die knisternd von ihm abprasselten. Und nun verstand ich das, was ich sah.
Der Conte hatte sein Leben den Mächten dargeboten, deren Natur ich nicht einmal ansatzweise durchschaute, und sie hatten geantwortet, indem sie ihn auf der letzten Schwelle festgenagelt hatten. Die Funken waren das, was von seinem Leben geblieben war, und der Schatten war nur eine Abwesenheit, eine Leere, die von etwas zeugte, das nicht mehr existierte. Das war der Grund, warum er die Stimmen der Toten hören konnte: Die Zeit, die er mit seinem Pakt erobert hatte, war nichts als ein einziger Moment, der letzte Augenblick seines Lebens, verlängert in die Unendlichkeit. Ein Mann, der vom Drachen geküsst worden war. Ein Mann ohne Tod.
Er bemerkte meinen Blick und erwiderte ihn, sehr ruhig. »Jetzt kennst du meine Geschichte, Veronica. Die Geschichte von Giuseppe Gorani. Ich bin wenige Meter von der Stelle, an der wir uns gerade befinden, auf die Welt gekommen, vor zweihundertneunundsechzig Jahren. Ich bin ein Soldat gewesen, ein Spion, ein Idealist, ein Revolutionär, ein Magier. Heute bin ich nur noch ein Mensch, der weiterleben will wie jeder andere Mensch auf der Welt. Ich habe meine Stundung teuer bezahlt, und ich bemühe mich jeden Tag, sie fruchtbar sein zu lassen.« Er neigte kaum wahrnehmbar den Kopf. »Wirst du an meiner Seite bleiben, trotz allem?«
Ich wusste, dass er seine Frage ernst meinte, und zählte fünf Herzschläge, bevor ich antwortete. »Ja. Ja. Aber jetzt will ich nach Hause.«
Er nickte, und wir gingen auf den Ausgang des Parkplatzes zu, diesmal ohne durch die Grenzmauer zu gehen. Die Brandwunden auf meinen Armen waren schon verschwunden und mit ihnen Schmerz und Erschöpfung. Es ging mir wieder gut, jedenfalls körperlich; innerlich war ich wie ausgehöhlt und hatte nur noch Lust auf mein stilles Zimmer und mein Bett.
Ich ließ das Geschehen noch einmal Revue passieren, auch den Kampf. Ich hatte das Gefühl, auf die Probe gestellt worden zu sein.
Kapitel 22
Mittwoch, 25. Februar
Neumond
S eit ich am Montagmorgen aufgewacht war, hatte ich die Stunden bis zu meiner Verabredung mit Ivan gezählt, und es schienen endlos viele Stunden zu sein. Irene grinste immer wieder amüsiert und mitfühlend, wenn sie sah, wie mein Blick zur Uhr wanderte oder sich in Gedanken an ihn im Nichts verlor, und auch wenn ich mal wieder nicht in der Lage war, über irgendetwas anderes zu sprechen.
Ich hatte ihr nichts von meiner kurzen Begegnung mit Alex am vorigen Samstag erzählt, aber ihr fiel von alleine auf, dass Angela und ihre Freundinnen scheinbar von einem Tag auf den anderen jegliches Interesse an ihm verloren
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