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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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hatten: In der Pause und nach Schulschluss waren sie jetzt wieder unter sich, oder genauer, sie waren wie immer von Jungs umgeben, die sich um ihre Aufmerksamkeit bemühten, aber sie reagierten darauf in der Manier von Filmdiven, mit dem üblichen lockeren und unverbindlichen Flirtgehabe.
    Wer hingegen überhaupt keine Lust zu haben schien, mit irgendjemandem zu reden, das war Alex. Er war in sich gekehrt, ernst und antwortete selbst seinen Freunden nur einsilbig.
    Mehr als einmal überraschte ich ihn dabei, wie er in meine Richtung blickte und sofort wegsah, wenn er sich dabei ertappt fühlte.
    Ich versuchte zu analysieren, welche Empfindungen all das bei mir hervorrief, aber es gelang mir nicht wirklich. Im Moment wäre es mir lieber gewesen, ich würde gar nichts für Alex empfinden. Einfach das Herz zum Schweigen bringen. Oder besser es ausschließlich auf Ivan einstellen, wie man einen Fernsehsender wählt. Stattdessen löste jeder Blickkontakt mit Alex Besorgnis aus und Wut und Mitleid – und vielleicht Hoffnung.
    Dass Giada im Unterricht fehlte, wunderte mich nicht. Ich konnte nicht verleugnen, dass ich mir trotz meines Grolls auch ein wenig Sorgen machte, aber ich sagte mir auch, dass man es uns sicher mitgeteilt hätte, wenn es ihr wirklich schlecht ginge. Sie schien einfach zu fehlen wie viele andere auch, und so verbannte ich auch das zu den Angelegenheiten, über die ich gerade nicht nachdenken wollte.
    »Was bedeutet das, deiner Meinung nach?«, fragte ich Irene leise kurz vor Ende der Philosophiestunde am Mittwochvormittag und wies auf Angela und ihre Gefährtinnen. Die Sache schien mir ziemlich klar, aber ich wollte Irenes Bestätigung als Expertin in sozialen Beziehungen haben.
    »Dass sie jetzt gezwungen sind, ihre Taktik zu ändern«, war die Antwort. »Elena hat dich im Schwimmbad mit einem Jungen erwischt. Einem älteren Jungen, der so offensichtlich an dir interessiert ist, dass er sie stehen lässt, ohne auch nur eine Sekunde darüber nachzudenken. Ergo wird Alex nicht mehr gebraucht.« Sie warf einen schiefen Blick in seine Richtung: Er schaute mit düsterem Gesicht aus dem Fenster und schien dem Unterricht nicht die geringste Aufmerksamkeit zu schenken. »Und ich würde sagen, das hat auch er gemerkt.«
    Ich schlug die Augen nieder. Sie hatten ihn benutzt, genauso wie sie Giada und alle anderen benutzten, die sich das gefallen ließen. Erst um hinter meinem Rücken ihren Spaß zu haben, dann um mich eifersüchtig zu machen. Auch er war also eines ihrer Opfer.
    Aber Fakt war: Er hatte mich an jenem Abend allein gehen lassen, mir danach tagelang die kalte Schulter gezeigt und nicht einmal gefragt, wie es mir geht. Er hatte von sich aus so reagiert, nicht weil andere ihm das so vorgegeben hatten. Also hatte ich alles Recht der Welt, auf ihn sauer zu sein. Er hatte es verdient, eine Weile zu schmoren, jetzt, da Angelas falsche Aufmerksamkeiten sich in Nichts auflösten; ich würde doch jetzt nicht hinrennen und ihn trösten. Außerdem war da Ivan, der auf mich wartete. Bei dem Gedanken daran bekam ich Lust zu tanzen.
    Als es zum Schulschluss läutete, schoss ich von meinem Stuhl hoch und verabschiedete mich von Irene mit einem eiligen Küsschen auf die Wange.
    Sie lächelte. »Du wirst ihn mir vorstellen müssen, früher oder später.«
    »Versprochen! Aber jetzt muss ich los. Ciao!«
    »Ciao.« Ihr Grinsen war ziemlich süffisant. »Amüsier dich gut.«
    Ich lachte und stürmte die Treppen hinunter.
    Fünf Metro-Stationen später war ich im Herzen der Stadt und trat auf dem Platz, den Ivan mir genannt hatte, ans Tageslicht. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich die Gegend kannte: Der Dom war ganz in der Nähe, und das Haus des Conte lag nur wenige Minuten entfernt.
    Es war ein klarer Tag, und obwohl es halb zwei Uhr mittags war, herrschte ziemlich dichter Verkehr. Ich sah mich um, und während ich mich noch fragte, wie ich hier eine Krypta finden sollte, die ja per Definition unterirdisch sein musste, blieb mir der Mund offen stehen: Inmitten des Straßengewühls, inmitten der vorbeiflitzenden Autos lag ein kleiner, runder, gepflasterter Platz. Er war umgeben von den Überresten einer mittelalterlichen Mauer, die soeben aus dem Boden gewachsen zu sein schien. Ein mindestens fünf Meter langer Halbkreis aus moosbedeckten Ziegelsteinen mit mehreren kleinen Bogenfenstern.
    Von meinem Standort aus gesehen, lag er vor einem Hintergrund aus Schaufenstern, Ampeln und Häusern aus Glas und Beton.

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