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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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bekommen. »Wo sind wir? …«
    Dann entdeckte sie das Volleyballnetz, das ich eine Stunde vorher an zwei Pfosten des Geländers befestigt hatte, und erstarrte. Ihr Blick glitt über die drei Bälle, die an einem der Pfosten lagen und sich so weiß gegen den Teer abhoben, als würden sie von einem eigenen inneren Licht leuchten.
    »Wo wir sind?« Ich machte eine ausladende und leicht theatralische Geste, die das ganze Dach einschloss. »Wir sind auf einem Schlachtfeld.«
    Diesen Satz hatte ich nicht vorbereitet, aber er gefiel mir.
    Elena wandte sich mir zu, öffnete erneut den Mund, schüttelte den Kopf und presste die Hände an die Stirn. »Das ist einfach nicht möglich … Das hier passiert nicht wirklich! Ich träume. Ich bin auf der Straße hingefallen und habe mich am Kopf verletzt.«
    »Meinst du?« Ich tat so, als würde ich nachgrübeln. »Das ist schon möglich. Aber es gibt solche und solche Träume. Die schmerzvollen heißen übrigens Albträume. Und die schlimmsten Albträume können tödlich sein.«
    Sie nahm ihre Hände vom Gesicht, hielt aber die Augen geschlossen. Vielleicht hoffte sie, dass ich verschwinden würde, wenn sie nur lange genug nicht hinsah?
    »Was willst du von mir?« Es war eher ein Stöhnen als eine Frage.
    Ich schüttelte den Kopf. »Das Wichtigste für dich ist im Moment, was du von mir willst.«
    Sie öffnete die Augen und sah mich ganz verwirrt an.
    »Los, sag’s mir!«, drängte ich sie. »Wo möchtest du in diesem Moment am liebsten sein?«
    »Zu Hause. Bei meinen Eltern. Wach.«
    »Ein verständlicher Wunsch. Aber das wirst du dir verdienen müssen.« Ich wies mit einem Kopfnicken auf das Netz. »Ihr habt mir den Krieg erklärt, du und deine Freundinnen. Wir haben miteinander gekämpft, mal habt ihr gewonnen, mal ich, aber langsam ist es genug. Es ist Zeit, die Angelegenheit zu erledigen, ein für alle Mal, wie die Krieger in früheren Zeiten es getan haben: mit einem Duell.«
    Sie beschränkte sich darauf, den Kopf zu schütteln, zunehmend ungläubiger. Glitzerten da Tränen in ihren Augenwinkeln? Ich war mir nicht sicher, aber ich war geduldig und hatte alle Zeit der Welt, um es herauszufinden.
    Ich ging auf die Stange zu und hob einen der drei Bälle auf. »In einem anständigen Duell wählt einer das Feld und der andere die Waffe. Ich habe das Feld gewählt, daher wäre es an dir, die Waffe zu wählen: Aber ich habe dir einen Gefallen getan und für dich bereits die Waffe ausgesucht, die du am besten beherrschst.« Ich ließ den Ball auf dem Boden aufschlagen. »Abgesehen von hinterhältigem Getratsche, versteht sich.«
    Ihr Mund verzog sich zu einem schmalen Strich.
    »Die Regeln sind sehr einfach: Ich mache den Aufschlag, du nimmst an. Wie im Schulsport. Es gibt nur drei Bälle: Wenn du wenigstens einen annimmst, nur einen , hast du gewonnen. Ich bringe dich dann sofort nach Hause und werde dich nie wieder belästigen. Anschließend kannst du dir einreden, dass du alles nur geträumt hast – oder irgendwas anderes, was immer du willst, aber von mir wirst du nichts mehr zu befürchten haben … Wenn es dir allerdings nicht gelingt, auch nur einen meiner Aufschläge anzunehmen, habe ich gewonnen. Und dann wirst du mein .«
    Es folgten drei Sekunden Schweigen. »In welchem Sinn ›dein‹?«
    Ich entblößte meine Zähne. »Wer weiß … Vielleicht mein Abendessen.«
    Diesmal waren die Tränen unverkennbar.
    Elena sah sich panisch nach einem Fluchtweg um.
    »Du kannst nirgendwo hin«, unterbrach ich den Versuch. »Wir sind drei Stockwerke über der Erde, und abgesehen davon hast du wohl kapiert, dass ich schneller bin als du, stärker als du und gefährlicher als alles, was dir in deinem bisherigen Leben begegnet ist.« Ich hob den Ball wie eine Trophäe in die Höhe. »Du hast nur diese eine Chance, heil aus der Sache rauszukommen: Entweder du akzeptierst, oder ich erledige dich gleich.«
    Sie weinte noch immer, in stummen Schluchzern, aber sie zögerte nicht: Ohne ein weiteres Wort ging sie auf die andere Seite des Netzes und warf ihre Jacke zu Boden. Darunter trug sie einen roten, eng anliegenden Pullover mit V-Ausschnitt über einer weißen Bluse; nicht wirklich der ideale Aufzug für ein Volleyball-Match! Auch ich zog Jacke und Sweatshirt aus und trug nun nur noch das schwarze, ärmellose Shirt, das ich inzwischen immer anhatte, wenn ich über die Dächer rannte.
    Als wir unsere Positionen einnahmen, herrschte ein Schweigen, das auf einen Schlag nichts Natürliches

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