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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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leichtem Gepäck vom Lauf des Wolfes zurück ins Zentrum bringen.
    Ich landete in einer menschenleeren Straße in der Nähe des Schwimmbads, schickte den Wolf weg und ging hinein. Jetzt, am frühen Abend, waren kaum Leute da. Durch das Glasfenster in der Eingangshalle sah ich sie sofort. Ich grinste. Offensichtlich hatte ich richtig getippt: Elena war hier. Ich beobachtete, wie sie vom Sprungbrett aus einen ziemlich guten Sprung hinlegte, wieder aus dem Wasser kletterte und ihr Handtuch holte. Perfektes Timing: Sie war offenbar gerade im Begriff zu gehen.
    Wer weiß, wie oft sie schon hergekommen war, in der Hoffnung, ein Auge auf mich und Ivan werfen zu können! … Ein Glück, dass sie so eine Nervensäge war.
    Ich ging wieder hinaus, postierte mich ein paar Meter vom Eingang entfernt, den Rücken an die Wand gelehnt, und wartete. Wenn ich rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein wollte, hatte ich an dieser Stelle maximal zwanzig Minuten. Wenn sie bis dahin nicht da war, musste ich alles auf morgen verschieben.
    Doch sie kam, nach einer Viertelstunde, in eine beige Winterjacke mit Pelzkragen gehüllt, die Haare noch nass und im Licht der Straßenlampe glänzend.
    Ich hatte meine Attacke gut vorbereitet und die Wartezeit dazu genutzt, unter den umstehenden Gebäuden das am leichtesten zu erreichende Dach ausfindig zu machen. Jetzt konnte ich nur noch hoffen, dass keine Passanten dazwischenkamen, wenn ich über meine Beute herfiel. Aber im entscheidenden Moment war weit und breit kein Mensch zu sehen.
    Ich rannte so schnell, wie der Wolf rennen konnte: Eine Millisekunde, bevor ich bei ihr war, hob sie mit einem Ruck den Kopf und sah mich. Sie kam gerade noch dazu, den Mund aufzureißen, aber zu sonst nichts. Ich packte sie um die Taille und sprang im vollen Lauf auf das Steildach eines zweistöckigen Gebäudes. Den Schwung nutzend, flog ich von dort auf ein höheres Dach und machte mich dann auf den Weg Richtung Stadtrand.
    In den ersten Minuten machte Elena einen höllischen Lärm: Sie schrie, sie strampelte, sie zappelte herum wie ein Frettchen, das man in einen Sack gesperrt hatte, sie versuchte, mich mit Fäusten zu traktieren, mich zu kratzen und, ich glaube sogar, zu beißen. Ich ignorierte sie, und mit de Zeit wurde ihre Gegenwehr immer kraftloser. Ob sie müde geworden war, aufgegeben hatte oder von der Angst überwältigt worden war, mir war es egal.
    Ich grinste beim Laufen in mich hinein. Ich hatte es wirklich getan, mitten auf dem Fußweg, am frühen Abend, vor Dutzenden von fahrenden Autos.
    Aber ich war so blitzschnell gewesen, dass ich sicher sein konnte, nicht gesehen worden zu sein. Eine unbestimmte Bewegung, ein seltsamer Tumult am Straßenrand, von dem beim zweiten Hinsehen schon nichts mehr übrig war. Wie schon gesagt, diese Lektion hatte ich von den seltsamen Kreaturen, die seit Kurzem meine Stadt bevölkerten, gelernt: Die Leute schauen nicht wirklich hin, sie sind unachtsam und desinteressiert. Inzwischen verstand ich sehr viel besser, wie es diesen Geschöpfen gelingen konnte, sich für die Sterblichen unsichtbar zu machen.
    Und mal ganz davon abgesehen: Ich hatte es getan. Niemand hatte mich daran hindern können, niemand hatte mich aufhalten können. Der Wolf war ein Gott.
    Zurück an meinem Zielort lud ich meine menschliche Fracht auf dem geteerten Dach ab. Elena glitt schreiend zu Boden, rollte ein Stück weiter und versuchte dann – das muss ich ihr lassen – sofort, wieder auf die Füße zu kommen. Schließlich standen wir uns gegenüber, weniger als sechs Schritte voneinander entfernt.
    Ich musterte sie gelassen. Ihr Gesicht war in zwei Farben getaucht, die beide so intensiv waren, dass sie nebeneinander fast unnatürlich wirkten: Die Wangen waren karminrot, der Rest wachsweiß. Sie war verschwitzt, und ihr Püppchenpony klebte ihr an der Stirn. Mit offenem Mund, zitternd und keuchend starrte sie mich vornübergebeugt vollkommen ungläubig an. Zum ersten Mal fragte ich mich, was die Leute eigentlich sahen, die mir mitten im Traum des Wolfes gegenüberstanden. Wieso war ich nie auf die Idee gekommen, in den Spiegel zu sehen?
    Elena bewegte die Lippen, als wollte sie sprechen, doch dann schluckte sie und musste husten, bevor sie ihre Stimme wiederfand. »Meis …?«
    Sie klang so heiser, dass ich ihre Stimme kaum wiedererkannte.
    Ich grinste, es war ein wildes Grinsen. »In Fleisch und Blut.«
    Sie sah sich um, mit einem Gesichtsausdruck, als hätte sie einen Schlag auf den Kopf

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