Die zwei Monde: Roman (German Edition)
mehr hatte. Das Dach der Lagerhalle lag im Halbdunkel, nur von den Außenbeleuchtungen der umstehenden Gebäude kam etwas Licht; unsere langen Schatten bewegten sich geisterhaft über den geteerten Boden. Über uns am schwarzen Himmel stand ein einziger Stern und schaute herunter wie ein schweigender Schiedsrichter unseres Duells.
Ich hatte die Grenzen des Spielfelds nicht auf den Boden gemalt, wir richteten uns nach Augenmaß: Ich stellte mich hinter das Netz, auf die Angriffslinie; Elena ging etwa auf der Hälfte des anderen Feldes in Defensivstellung.
Ich fixierte sie, und sie hielt meinem Blick stand. Sie hatte deutlich mehr Mut als Susanna; und sie hatte Lust, zu kämpfen. Gut.
»Bist du bereit?«
Sie nickte mit verkniffenem Mund, ihre Augen glänzten, aber es standen keine Tränen mehr darin.
Ich hob den Ball, sprang und schlug ihn. Es wäre eigentlich gar nicht so schwierig für sie gewesen, ihn zu treffen, denn er flog nur weniger als zwei Meter an ihr vorbei. Aber die Wucht meines Schlags war so heftig, dass ein menschliches Auge ihm kaum folgen konnte. Der Ball prallte mit einem lauten Knall auf dem Boden auf, sprang dann seitlich weg und verschwand in der Dunkelheit, während Elena auf dem Boden ins Leere rollte. Sie stand sofort wieder auf, von Teerpartikeln bedeckt und augenscheinlich von einer nervösen Energie besessen, die ihr die Haare auf dem Kopf zu Berge stehen ließ. Sie hielt ihren Blick fest auf mich gerichtet, ein wildes Leuchten in den Augen.
Ich holte den zweiten Ball und stellte mich wieder in Position.
»Bereit?«
Sie nickte, mit einem abgehackten Ruck ihres Kinns.
Beim zweiten Aufschlag bluffte ich. Ich durchschnitt die Luft mit dem rechten Arm, verfehlte absichtlich den Ball, ging zu Boden und traf ihn dann mit dem linken Arm unter dem Netz. Der Schlag war weniger kräftig als der vorhergehende, aber so schnell, dass Elena nicht mal die Zeit hatte, eine Bewegung zu machen: Der Ball prallte direkt vor ihrer Nase auf, übersprang sie in einem weiten Bogen, um dann wieder aufzukommen und schließlich davonzurollen.
Sie schien vollkommen erstarrt, was in der Stille etwas Schreckliches an sich hatte.
Ich nahm den dritten Ball, kehrte zu meinem Platz zurück und sah sie an. Letzte Chance.
Diese Szene hatte ich mir wieder und wieder ausgemalt. Und eigentlich hatte ich vor, sie an diesem Punkt des Duells zur Rede zu stellen: Was hatten sie eigentlich gegen mich? Wieso hatten sie mir den Krieg erklärt? Was hatten sie und ihre Freundinnen davon, mir das Leben schwer zu machen? Ich hatte sie zwingen wollen, zu wimmern wie ein kleines Mädchen, sich vor mir zu erniedrigen und so lange um Vergebung zu flehen, bis sie keine Stimme mehr hätte.
Stattdessen sagte ich nichts und stellte ihr keine einzige Frage. Es war mir alles egal. Jetzt wollte ich nur noch eines: sehen, wie die Sache ausging.
»Bereit?«, fragte ich zum dritten Mal.
Sie bewegte kaum den Kopf. Ihr Gesicht war durchsichtig wie Porzellan.
Ich hob den Ball, sprang hoch und schlug ihn … und diesmal erwischte sie ihn tatsächlich. Sie konnte gar nicht anders, weil ich ihn ihr direkt in die Arme schmetterte. Nicht mit der ganzen Kraft, die ich hatte, aber doch fast.
Der Ball knallte ihr gegen die Brust und traf im Rückprall ihr Gesicht, sodass sie den Boden unter den Füßen verlor und nach hinten geschleudert wurde wie eine Gliederpuppe. Ich sah, wie sie ein Stück wegrollte und dann liegen blieb, mit dem Gesicht nach unten.
Ich übersprang das Netz mit einem einzigen Satz, beugte mich über sie und drehte sie um. Sie war bewusstlos, aber sie atmete noch. Vorsichtig betastete ich ihre Arme und Rippen: Es schien nichts gebrochen zu sein. Und wenn die Knochen heil waren, dann hieß das ja, dass auch im Inneren nichts kaputt sein dürfte, oder? Sicher, so musste es sein: Es war nur ein ziemlich heftiger Schlag gewesen. Auf der linken Seite ihres Gesichts breitete sich schon eine Röte aus, die ziemlich gruselig anzusehen war.
Langsam richtete ich mich wieder auf. Sie hatte gewonnen: Den letzten meiner Bälle hatte sie angenommen. Ich würde sie nach Hause bringen, lebend.
Ich sah auf sie nieder und spürte, wie meine Lippen sich zu einem Lächeln entspannten. Ich fühlte mich gut.
Kapitel 28
Donnerstag, 5. März
Zunehmender Mond
I ch kam kurz vor Mitternacht im Haus des Conte an. Am Abend zuvor hatte ich Ivan per SMS geantwortet, nachdem ich Elena in der Nähe des Schwimmbads abgelegt und mich versichert hatte, dass
Weitere Kostenlose Bücher