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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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großen Flügeln über meinem Kopf.
    Ich sprang zur Seite und versteckte mich hinter dem nächstbesten Monument, der Statue eines Engels, der eine Frau in den Armen hielt. Ich kauerte mich hinter den Grabsockel, hielt den Atem an und lauschte. Am Rand meines Blickfelds bewegte sich etwas und machte ein raschelndes Geräusch: Ich drehte mich um, aber es war nichts zu sehen.
    Ich kramte hektisch in meinen Taschen und bewaffnete mich mit der Taschenlampe. Ein weiteres Rascheln, diesmal hinter mir: Ich fuhr herum und schaltete gleichzeitig die kleine Lampe an. Sie kam mir ungemein hell vor nach der langen Dunkelheit. Ich ließ den Lichtstrahl über den Friedhof wandern, von einem Ende zum anderen, aber alles, was ich entdecken konnte, waren weitere Gräber, eine Hecke und eine steinerne Grabkapelle mit Glastüren, die meinen Lichtstrahl reflektierten.
    Dann spürte ich an meiner linken Seite plötzlich einen Luftzug. Ich wandte ruckartig den Kopf und erhaschte einen kurzen Blick auf dieses Etwas: ein schwarzer, ausgefranster Umriss und eine Gestalt, die schnell wieder ins Nichts verschwand. Waren das Federn? Schwarze Federn? Ein Schlag traf meinen rechten Arm, ein Knirschen folgte und das Klirren von Glassplittern, die zu Boden fielen. Im nächsten Moment erlosch die Taschenlampe in meiner Hand.
    Mit der freien Hand fuchtelte ich in der Luft herum und suchte nach der Engelsstatue, konnte sie aber nicht mehr finden. Verdammt noch mal, hatte ich mich schon wieder unbewusst von der Stelle bewegt?
    Plötzlich erfasste mich von hinten ein Windstoß, der einen Duftschwaden mit sich brachte, den ich auf Anhieb zuordnen konnte: feuchte Erde und verwelkte Blumen.
    Ich rief den Wolf. Es geschah völlig instinktiv.
    Bevor ich zur Verteidigung übergehen konnte, packte mich etwas an den Schultern und versuchte, mich bewegungsunfähig zu machen. Eine Hand umklammerte meinen Arm, es fühlte sich an wie eine Mischung aus spindeldürren Fingern und gekrümmten Klauen, so hart wie Eisen. Gleichzeitig machte sich etwas über meine Jackentasche her und zerrte mit Gewalt an dem Amulett darin: Ich spürte deutlich, wie das Leder der Jacke zerriss.
    Ich rammte meinen Ellbogen mit ganzer Kraft nach hinten und schlug gleichzeitig mit der Taschenlampe nach unten. Beide Schläge trafen auf eine weiche Oberfläche. Es waren also wirklich Federn! Die Kreatur hinter mir ließ mich los und wich zurück: Ich nutzte die Zeit, um einen Satz nach vorn zu machen und herumzuwirbeln, aber mein Gegner hatte sich schon aus dem Staub gemacht. Ich stieß ein zorniges Knurren aus.
    Entnervt warf ich die Taschenlampe weg und tastete meine zerrissene Jackentasche ab: Sie war leer. Ich sah mich um und konnte jetzt so klar sehen, als wäre der Friedhof vom Schimmer eines nebligen Morgengrauens erhellt. Das Amulett lag wenige Schritte von mir entfernt, ein dunkler Umriss auf dem Kies.
    Ich machte eine Bewegung, um es aufzuheben, aber mein Gegner war schneller als ich. Zwei dunkle Schatten sausten hinter mir hervor und umfingen mich in einer Umarmung. Ein abscheulicher Fäulnisgestank schlug über mir zusammen. Ich heulte auf und warf mich nach hinten, im Versuch, meinen Angreifer mit dem Rücken zu treffen, aber dann spürte ich etwas Hartes in meinem Nacken, eine leichte Berührung nur: Einen Sekundenbruchteil später durchfuhr mich ein stechender Schmerz und ich konnte mich nicht mehr bewegen.
    Ich bekam keine Luft mehr, riss den Mund auf, um zu schreien, aber ich konnte nicht. Ich war wie gelähmt, wie angenagelt an meinen Platz von etwas Kaltem und Schwarzem und Fürchterlichem, das mich durchbohrte, ohne dass es durch mein Fleisch hindurchging . Es war wie ein Albtraum, ein Albtraum, in dem man zu fliehen versucht, aber auch nicht einen Muskel bewegen kann.
    Ich spürte den Körper hinter mir, der sich jetzt entspannte und noch näher kam, indem er sich fest an mich drückte. Er war weich und zugleich knochig. Mir wurde speiübel.
    » Veronica Meis .«
    Die Stimme säuselte mir ins Ohr wie ein Windhauch. Eine Frauenstimme, weder alt noch jung, weder schrill noch tief. Unter anderen Umständen hätte ich sie als süß bezeichnet, ja sogar als verführerisch; in diesem Moment aber ließ sie mir das Blut in den Adern gefrieren.
    » Welcher Anlass hat dich ins Herz der Finsternis geführt, Veronica Meis, Tochter des Fleisches und des Blutes, in das Haus, das nur den Toten Unterschlupf gewährt ?«
    Etwas Hartes, Gebogenes, Schnabelähnliches, strich an meiner Wange

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