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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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wirst mir doch Gelegenheit zur Revanche geben.«
    »Zur Revanche?«
    Er zeigte auf das Wasser. »Vier Bahnen im Kraulstil, wie heute. Aber diesmal fangen wir gemeinsam an.«
    »Wir haben einen Gleichstand erzielt.« Ich verkniff mir den Zusatz, dass er mir eindrücklich genug gezeigt hatte, dass seine Technik besser und er einfach schneller war.
    »Nein. Du hast eine Sekunde vor mir den Rand berührt. Folglich schuldest du mir eine Revanche.« Mit einer Geste des Abschieds ging er in Richtung Umkleidekabinen.
    Ich starrte ihm nach, bis er verschwunden war. War ich wirklich eine Sekunde vor ihm angekommen? Oder hatte er das nur aus Höflichkeit gesagt?
    Ich ließ mich wieder ins Wasser gleiten und blieb noch etwa zwanzig Minuten, schwamm aber nur ein paar langsame Bahnen auf dem Rücken, bis es auch für mich Zeit wurde, zu gehen.
    Ich begab mich in die Umkleideräume, nahm mein Shampoo aus dem Rucksack und stellte mich unter die Dusche. Während ich mich um mich selber drehte, glaubte ich, aus dem Augenwinkel etwas zu sehen. Ich drehte mich blitzartig in die entsprechende Richtung um, schon im Voraus erschrocken vor dem, was sich dort befinden könnte – aber da war nichts, nur Mädchen und Frauen, die im Gang zwischen Umkleiden und Duschen hin und her gingen.
    Ich strich mir mit einer Hand über die Augen. Inzwischen war ich wohl bei der puren Paranoia angekommen.
    Ich duschte länger und heißer als sonst, in der Hoffnung, dass das Wasser alles, was mir im Kopf herumschwirrte, mit sich forttragen würde. Zum Teil gelang das auch: Als ich, in mein Handtuch gehüllt, in die Umkleide zurückkam, fühlte ich mich ganz leer und so, als wäre mein Kopf voller Dampf.
    Es dauerte einige Sekunden, bis ich meinen Rucksack auf dem Regal wiederfand, wo ich ihn üblicherweise liegen ließ. Ich fand es unnötig, eines der Schließfächer im Umkleideraum zu benutzen, da ich hier nie Wertsachen dabeihatte, nicht einmal mein Handy.
    Als ich jetzt den Rucksack sah, verspürte ich einen Anflug von Übelkeit. Vielleicht hatte ich mit der heißen Dusche übertrieben.
    Beim Öffnen des Reißverschlusses fiel mir etwas in die Hand. Es fühlte sich an wie eine glühende Kohle. Ich schrie erschrocken auf und machte einen Satz nach hinten, die Hand an die Brust gepresst. Einige Köpfe drehten sich nach mir um, aber ich merkte es kaum.
    Das kleine Ding, das mich berührt hatte, war ohne den geringsten Laut zu Boden gefallen. Ich starrte es in einer Mischung aus Schrecken, Ekel und Verwirrung an: Es war eine violette, glockenförmige Blüte, kaum größer als mein Daumen.
    Für einen Augenblick kehrte die Hyperästhesie zurück und ließ mich taumeln. Die Luft im Umkleideraum verwandelte sich in eine kompakte Wand aus penetranten Gerüchen: Chlor, Shampoo, Seife, chemisches Zeug, Schweiß, Deo, nasser Stoff und heißes Wasser – das Wasser hatte einen Geruch! –, aber alles war überlagert von dem schrecklichen Geruch dieser violetten Blume. Süß, wie Honig, betäubend wie eine Droge. Ein Geruch, der förmlich schrie: Gift!
    Ein Mädchen mit einem gelben Handtuch um den Kopf kam auf mich zu und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei; aber ich schob sie geradezu beiseite, schnappte meinen Rucksack und lief los, um mich hinter der nächstliegenden Tür zu verbergen: der Toilettentür.
    Dort sackte ich atemlos und mit dem Rücken gegen die Wand zusammen. Der Anflug von Hyperästhesie war schon vorbei, aber ich brauchte ein bisschen, bis ich die Kontrolle wiedererlangte. Ich starrte auf meine Hand: Wo die Blume die Haut berührt hatte, befand sich ein rotes Mal, das aussah wie eine Brandwunde.
    Ich blieb zum Umziehen in der Toilettenkabine, drückte dann vorsichtig die Tür auf und lugte nach draußen: Wieder wandten sich mir eine Reihe von neugierigen Blicken zu, aber diesmal sagte keiner was. Ich hatte ja auch gerade eine völlig hysterische Darbietung abgeliefert.
    Trotzdem dachte ich gar nicht daran, mich zu schämen: Die Blüte lag noch immer da, wo sie zu Boden gefallen war. Ich erwog kurz, sie aufzuheben – nicht mit nackten Händen, natürlich –, um zu Hause überprüfen zu können, um was für ein Gewächs es sich handelt. Aber schon bei dem bloßen Gedanken rebellierte etwas in mir. Ohne einen weiteren Blick auf die kleine Blume verließ ich eilig den Umkleideraum.

K apitel 7
    Donnerstag, 12. Februar

    I n der Eingangshalle des Schwimmbads gibt es eine kleine Bar oder vielmehr eine Theke mit vier kleinen Tischen unter zwei

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