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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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für Latein und Griechisch auf und hinderte sie daran, mir Fragen zu stellen. Die ganze erste Stunde hindurch sah sie mich immer wieder besorgt an, und sobald es zur Pause geklingelt hatte, stürzte sie sich förmlich auf mich.
    »Geht’s dir gut? Stimmt irgendwas nicht? Du bist …« Man konnte förmlich hören, wie ihr Gehirn ratterte und nach einem geeigneten, nicht beleidigenden Ausdruck suchte. »… ganz grün im Gesicht.« Nicht wirklich die beste Wahl.
    »Nein, ich habe nur meine Tage«, log ich.
    »Aber du hast doch was«, insistierte sie. »Sind das immer noch die Beschwerden, die du schon vor ein paar Tagen hattest?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Es ist alles in Ordnung, ehrlich. Ich habe nur ein paar schlimme Nächte hinter mir.«
    Sie schwieg und nickte mit einer Miene, die überdeutlich ihre mangelnde Überzeugung zum Ausdruck brachte, aber sie drang nicht weiter in mich.
    Und dafür war ich ihr unglaublich dankbar, denn in diesem Augenblick fühlte ich den verzweifelten Wunsch in mir, mit jemandem über alles zu reden.
    Aber wie? Mit welchen Worten?
    Ja, ich habe ein Problem: Ich sehe schwarze Männer im Untergrund und Leute mit Schlangenaugen auf der Straße, außerdem habe ich Träume, in denen …
    Nein, nein, nein. Nicht so und vor allem nicht jetzt und hier in der Schule.
    Ich nahm mechanisch mein Mathematikbuch aus dem Rucksack und legte es auf den Tisch.
    Irene starrte mich an, erst mit Unverständnis, dann mit neuerlicher Panik. »Du wirst mir doch nicht sagen wollen, dass du sie vergessen hast …«
    »Was vergessen?«
    »Die Klausur.«
    Ich riss die Augen auf. »Die Matheklausur!«
    Die Erkenntnis stürzte auf mich herab wie aus einem anderen Leben. Ich konnte mich zwar nicht erinnern, was ich am gestrigen Nachmittag gemacht hatte, aber ich erinnerte mich sehr wohl, was ich nicht gemacht hatte: Für die Matheklausur gelernt, ausgerechnet das Fach, in dem ich am schlechtesten von allen war.
    Irene ergriff meine Hand. Meine Finger waren eiskalt und die ihren schienen vergleichsweise ungewöhnlich warm.
    Ich sah ihr in die Augen. »Ich …«
    »Nicht jetzt. Eine Sache nur, versprich mir bitte, dass du mir sagst, was mit dir los ist, wenn dir danach ist.«
    Ich nickte.
    Um uns herum hatte die Klasse schon begonnen, die Bänke auseinanderzuschieben.
    Irene zeigte auf die Wand. »Setz dich da hin, an meine Seite.«
    Normalerweise stellte ich meine Bank bei den Klassenarbeiten hinter die ihre.
    »Behalt mich im Auge«, fuhr sie fort. »Wenn ich merke, dass du mir ein Zeichen gibst, versuche ich, dir per Zettel zu helfen.«
    Ich war drauf und dran, sie zu umarmen, wie schon zwei Tage zuvor, aber in diesem Moment trat der Lehrer ein.
    Irene war keine Leuchte in Mathe – tatsächlich war sie das in keinem Fach –, und allein die Vorstellung, beim Spicken erwischt zu werden, ließ sie schon in Panik geraten – so schlimm, dass sie sich regelrecht weigerte, sich etwas vorsagen zu lassen. Und jetzt bot sie an, mir vorzusagen. Ich schenkte ihr ein Lächeln, in das ich wirklich alle Zuneigung und Dankbarkeit zu legen suchte, die ich in mir hatte.
    Die Klausur lief alles andere als gut. Ich versuchte redlich, es allein zu schaffen, aber da ich erstens nicht gelernt hatte und zweitens meine Gedanken irgendwo in tausend Metern Entfernung herumgondelten, konnte ich kaum eine Frage beantworten. Ein paarmal konnte ich Irenes Aufmerksamkeit auf mich ziehen, und sie kritzelte mir mit panisch geweiteten Augen etwas auf einen Zettel, den sie mir zuwarf, wenn der Lehrer nicht hinsah. Ihr Gesicht war eine starre Maske aus Angst und schlechtem Gewissen, sogar noch zwei oder drei Minuten, nachdem sie mir geholfen hatte.
    Ich fühlte mich mindestens genauso schuldig wie sie, nicht weil ich selber spickte – denn vermutlich waren das die einzigen richtigen Antworten in meiner Klausur –, sondern weil ich die Ursache für diese Maske war. Während ich auf das weiße Blatt Papier starrte, das ich mit Lösungen füllen sollte, stieg ein bitteres Lachen in mir hoch.
    Im Grunde war das alles ein Maskenspiel, eine Art Bühnenspektakel, in dem zu viele Rollen zu besetzen und zu wenig Schauspieler vorhanden waren. Und so tauschten wir immer wieder die Masken, in schnellem Rhythmus, denn die Komödie musste ja weitergehen: Ich, die jeden Tag die Maske der harten, selbstsicheren jungen Frau trug, verwandelte mich im Handumdrehen in ein desorientiertes, verzagtes kleines Mädchen, das keine Ahnung hatte, was in ihrem Leben vor

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