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Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Die zwei Monde: Roman (German Edition)

Titel: Die zwei Monde: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Tarenzi
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Christentums und die Auslöschung der antiken Kulte überlebt: Erst im fünften Jahrhundert nach Christus wurde er auf Betreiben der Päpste abgeschafft. Zu jener Zeit waren die meisten Römer schon lange Christen, feierten ihn aber offenbar trotzdem noch Jahr für Jahr, als wäre er für viele von ihnen von großer Bedeutung gewesen.
    Ich ließ mir nochmals die Einzelheiten meines Traums durch den Kopf gehen: Die schlammverschmierten, aber ansonsten glatt rasierten und fein gezeichneten Gesichter der Männer, die offensichtlich römische Bürger waren; die abgezogene Tierhaut, die der Priester hinter sich herschleifte, eine Blutspur auf dem Boden hinterlassend; die beiden Jungen, die mit dem Messer berührt wurden; die blutigen Lederriemen. Ich hatte mit unglaublicher Präzision eine Szene geträumt, die sich so oder so ähnlich vor mehr als zweitausend Jahren abgespielt hatte, ohne dass sie mir jemals – dessen war ich mir sicher – von irgendwem beschrieben worden wäre. Ich wusste beim besten Willen nicht, was ich davon zu halten hatte.
    Draußen tobte erneut der Wind, und der Himmel war weniger klar als noch kurz zuvor: Die Wolken waren zurück, hatten sich nach und nach über den fernen Dächern gesammelt und das verschossene Blau überdeckt. Im Februar war wirklich kein Verlass auf das schöne Wetter … Ich saß wie versteinert am Computer, das Gesicht dem Fenster zugewandt. Heute war der 15. Februar. Der Tag der Lupercalien.
    Okay, das war nun wirklich zu viel.
    Den Rest des Nachmittags verbrachte ich mit allem, was mir irgendwie Ablenkung bot: Ich lernte, ich las alle Comics aus, die ich gekauft hatte, ich hörte Musik, ich setzte mich sogar vor den Fernseher und zog mir das unsägliche Sonntagsprogramm rein.
    Nach dem Abendessen erhielt ich eine Nachricht von Irene, und wir verabredeten uns auf MSN . Sie berichtete mir von ihrem Abend, als würde sie vom trostlosen Beginn einer arrangierten Verlobung sprechen, wie man sie nur aus Filmen kannte. Sie schickte mir auch ein Foto, das ihr Verehrer per Handy von ihnen beiden gemacht hatte: Andrea sah eigentlich nicht schlecht aus, nicht sehr groß, mit kurzen Haaren und einem kleinen dunklen Bart am Kinn; Irene war in ein nachtblaues Abendkleid gezwängt, das sie ein wenig älter und sehr viel bleicher aussehen ließ, und sie lächelte wie jemand, der eine Pistole im Nacken hatte. Dahinter war ein Blick auf den Saal eines Restaurants zu erhaschen, das man mit einer gewissen Untertreibung als luxuriös bezeichnen konnte. Das harte Leben der Reichen und Mächtigen …
    An jenem Abend ging ich seltsamerweise ruhiger als sonst zu Bett, und tatsächlich schlief ich diesmal gut. Am nächsten Morgen schien alles wieder ganz normal zu sein: grauer Himmel, eiskalte Luft und meine Mutter, die in der Küche vor sich hinträllerte.
    In der Schule verbrachte ich fünf Stunden hintereinander damit, mir darüber den Kopf zu zerbrechen, was ich nun zu Alex sagen sollte, wobei Irene etwa alle zehn Minuten eine beruhigende Bemerkung für mich übrig hatte. Als es zum Unterrichtsschluss läutete, verabschiedete ich mich eilig von ihr, rannte die Treppen hinunter und platzierte mich vor dem Schultor. Ich hatte beschlossen, hier auf ihn zu warten, und im Geiste ging ich nochmals die Rede durch, die ich sorgfältig einstudiert hatte. Gleich neben dem Eingang, auf dem Gehsteig, wie immer ignoriert von den Leuten, die an ihr vorbeigingen, stand das Mädchen mit den Blumen im Haar!
    Wir sahen uns an. Keine Tränen und kein Brennen diesmal und auch kein plötzliches Verschwinden. Sie streckte eine Hand nach mir aus, zog sie dann zurück, entfernte sich ein paar Schritte und drehte sich um, um mich mit ihren riesigen Augen anzusehen.
    Ich ballte die Fäuste.
    Sie oder Alex, schon wieder.
    Ich zog den Rucksack auf meinem Rücken zurecht und folgte ihr.
    Sie ließ mich weit gehen, viel weiter als erwartet, durch Straßen und Gassen, die ich noch nie gesehen hatte: Wir überquerten Kreuzungen, vollgestopfte Parkplätze und Parks voller Menschen, die mit ihrem Hund spazieren gingen. Ich hatte den Eindruck, dass wir in Richtung Dom unterwegs waren. Sie blieb immer ein paar Meter vor mir und drehte sich oft um, um zu kontrollieren, ob ich ihr folgte, ließ mich aber nicht näher kommen. Die Leute auf den Straßen gingen einfach an uns vorbei, ohne uns zu beachten.
    Ich fing an, nervös zu werden, vor allem, wenn ich an meine Mutter dachte. Ich klappte mein Handy auf und sah auf die Uhr: Wir

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