Die Zweierbeziehung
war uns in diesem Fall nicht gelungen. Der Patient musste wegen erneuter Ulcusbeschwerden auf die Chirurgie verlegt werden, von wo er nicht mehr zu uns zurückkehren wollte.
9.8. Die psychosomatische Arzt-Patient-Kollusion Arzt-Patient-Kollusion
Wie erwähnt geht die psychosomatische Symptombildung häufig mit einer scheinbaren Normalisierung des Sozialverhaltens einher. Die psychosomatisch Kranken sind in ihren Interessen und Phantasien somatisch fixiert. Man nennt sie gelegentlich «emotionale Analphabeten», weil sie ihre Gefühle und psychischen Vorgänge nicht wahrzunehmen vermögen. Umso exakter registrieren sie aber ihr Körpergeschehen.
Sie verhalten sich so, wie manche somatisch orientierten Ärzte sich den Idealpatienten wünschen: Sie können präzise Angaben über ihre Körpervorgänge machen, die sie genau beobachten. Sie sind autoritätsgläubig, unterziehen sich gehorsam jeder ärztlichen Anordnung, lassen alle Untersuchungen widerstandslos über sich ergehen, verhalten sich passiv und neigen dazu, die Macht des Arztes zu mystifizieren und zu idealisieren. Vor allem aber wehren sie alle psychologischen Betrachtungsweisen ab. Geistig bewegt sich der Patient häufig im Bereich ärztlicher Aufmunterungsfloskeln, die sich diese Patienten selbst geben oder vom Arzt immer und immer wieder hören wollen, wie: Kopf hoch, den Mut nicht sinken lassen! Man muss sich entspannen und nicht alles so schwernehmen; man muss sich ablenken, in Gesellschaft gehen oder Sport treiben; man muss sich Aufbaustoffe zuführen wie Vitamine, Rohkost, biologisches Gemüse; man muss sich fit halten, an die Sonne gehen, viel schlafen, frische Luft atmen; nur nicht grübeln, sondern sich positiv einstellen und eine optimistische Haltung bewahren. Wenn es einem schlecht geht, so hat man etwas Schlechtes gegessen, oder das Wetter ist schuld. – Das arme Wetter!
Manche Ärzte mit rein naturwissenschaftlicher Optik wünschen sich einen derartigen Patienten, da sie – legitimiert durch Zeitdruck – Patienten brauchen, die sich in ein naturwissenschaftliches Konzept einfügen, dieses Konzept akzeptieren und nicht mit psychologischen Anliegen alles komplizieren. Es entsteht häufig eine Kollusion zwischen einseitig naturwissenschaftlich orientiertem Arzt und psychosomatisch Kranken mit einer gemeinsamen Abwehr gegenüber allen psychologischen Problemen. Der Patient spürt, dass er beim Arzt mit keinen anderen als mit somatischen Fragen und Befunden ankommen kann. Der Arzt merkt, dass der Patient von ihm nichts anderes erwartet als eine körperliche Diagnose und jede Nachfrage über sein psychisches Befinden als unzulässige Einmischung in seinen Privatbereich zurückweisen würde.
Nach dieser Phase der «Partnerwahl» kommt es nun aber zum Partnerkonflikt. Die Rechnung geht nicht auf, weil sich die Krankheitsbeschwerden nicht mit den körperlichen Befunden decken, ja eventuell überhaupt kein organischer Befund nachweisbar ist. Die somatisierende Arzt-Patient-Kollusion wird gelegentlich trotzdem aufrechterhalten. Es kann nun ein völlig belangloser Befund oder ein letztlich aus der Luft gegriffener Verdacht herangezogen werden, um die Verabreichung irgendeines nutzlosen Medikamentes zu rechtfertigen. Der Patient verliert den Glauben an den Arzt, der sein Leiden nicht diagnostiziert und ihm nicht helfen kann; der Arzt wird ärgerlich, weil ihn seine eigene Unfähigkeit kränkt und er den Vertrauensverlust des Patienten spürt. Vielleicht schiebt er den Patienten einem anderen Spezialisten zu, wo häufig das ganze Spiel von vorne beginnt.
Man kann sich fragen, inwiefern psychosomatisches Krankheitsverhalten iatrogen ist, also durch die Ärzte erzeugt wird. Der Widerstand weiter Arztkreise gegen eine psychosomatische Medizin kann wohl deshalb so lange aufrechterhalten werden, weil ein Großteil der Patienten und deren Angehörigen diese Widerstandshaltung vordergründig unterstützen, obwohl sie letztlich in ihrem tief gehenden Misstrauen den Ärzten gegenüber gerade dadurch bestärkt werden.
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10. Die Erweiterung des Kollusionsmodells 2002
Jedes psychotherapeutische Modell wird durch die jeweils herrschenden soziokulturellen Umstände beeinflusst. Verändern sich die soziokulturellen Umstände, verliert das Therapiemodell seine allgemeine Gültigkeit und muss an die neuen Verhältnisse angepasst werden. Das Kollusionsmodell von 1975 deckt gewisse Aspekte der Kollusion, das heißt, des Zusammenspiels der
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