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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Partner: «Ich hab’s auf dem Herzen, ich sterbe, wenn ich nicht sofort in meine Heimatstadt zurückkehren kann, ich kann nichts dafür, mein Herz zwingt mich!» Der Mann hatte sich damit von der Verantwortung für die Wahl des Wohnortes entbunden. Er musste seinen Wunsch nicht mehr selbst vertreten. Das allmächtige Herz sprach zum Herzen der Frau. Für die Frau bedeutete das Symptom: «Ich habe einen Mann, der hat’s auf dem Herzen. Er sollte abends rasch nach Hause kommen, sich bei mir ausruhen, er muss sich schonen und darf nicht allein ausgehen. Wenn man’s auf dem Herzen hat, sollte man vor allem nie allein sein, denn man weiß ja nie, plötzlich kommt die Attacke.» Sie kommunizierte dem Mann über sein Herzsymptom, dass er sich ihr ganz anschließen müsse und keinen Schritt aus ihrem Sorgekreis heraus tun dürfte. Das Symptom bewahrte ihr den Mann in gesicherter Abhängigkeit. So neutralisierte das Symptom die eheliche Spannung und integrierte die Ansprüche beider Partner in einen einigermaßen tragbaren Kompromiss.
     
    b)
Das Symptom als Affektäquivalent
    Als Affektäquivalente bezeichnet man organische Begleiterscheinungen von starken psychischen Affekten. Das somatische Symptom kann zum eigentlichen Medium werden, in dem der Affekt abreagiert wird, ohne dass die damit verbundenen Phantasien ins Bewusstsein eindringen oder gar als solche kommuniziert werden müssten. Die Symptombildung ist oft anfallsartig (paroxysmal) und drastisch. Es entlädt sich in ihr eine unerträgliche affektive Spannung. Dabei wird nicht nur der Symptomträger, sondern auch seine Umgebung in einen Zustand höchster Erregung versetzt mit Höhepunkt, Abklingen und Übergang in Erschöpfung und Entspannung. Der Aspekt des Affektäquivalentes findet sich etwa in Asthmaanfällen, Migräneattacken, gewissen Formen von Epilepsie, hysterischen Dämmer- und Erregungszuständen, Hyperventilationstetanien, herzphobischen Panikzuständen usw. Wie nach einem reinigenden Gewitter stellt sich nach diesen dramatischen Anfällen die Ruhe wieder ein.
    Beispiel 32
von paroxysmalen hysterischen Erregungszuständen:
Ein unsteter junger Mann stabilisiert sich unter dem mütterlichen Einfluss seiner Ehefrau. Einesteils sieht er ein, dass er der straffen Führung der Frau bedarf, andererseits fühlt er sich allzu sehr von ihr beherrscht. Es kommt nun immer wieder zu anfallsweisen Geschehen, die folgendermaßen ablaufen: Nach Stunden bis Tagen vermehrter Spannung bricht beim Mann ein hysterischer Erregungszustand aus, in dem er bei getrübtem Bewusstsein die Frau mit den obszönsten Ausdrücken beschimpft. Die Frau ist sprachlos, ganz erschlagen und ruft ihm zu: «Das bist nicht du, das ist der Teufel, der aus dir spricht.» Dieser Anfall unflätigster Beschimpfung klingt nach einigen Minuten ab, der Mann wird von Schwäche befallen, kann sich nicht mehr auf den Beinen halten, fällt zu Boden und liegt – auf keinen Zuruf mehr reagierend – der Frau zu Füßen. Die Frau, jetzt voller Besorgnis und Mitleid, schleppt den Mann ins Bett, entkleidet ihn, pflegt ihn aufs Beste, bis er wieder zu sich kommt, worauf sich beide beruhigen.
    Die anale Kollusion, das heißt die Spannung zwischen Herrschen und Beherrschtwerden, läuft in diesem Anfall wie ein Ritual ab. Der Mann spielt sich zuerst als wütender Kraftprotz auf, erschreckt die Frau und kanzelt sie herunter. Da er sich in einem Ausnahmezustand befindet, ist er dafür unzurechnungsfähig. Darauf kippt das Verhalten ins Gegenteil: Er unterwirft sich der Frau, legt sich ihr zu Füßen. Die Spannung kann abreagiert werden, und es folgt eine Phase von Frieden und Eintracht bis zum nächsten derartigen Anfall. Der Konflikt wird nie verbalisiert, sondern nur in dieser paroxysmalen Form ausgetragen.
    Im konkreten Fall können sich die verschiedenen Aspekte psychosomatischer Symptombildungen mischen. Im obigen Beispiel hat das Symptom deutlich den Charakter eines Affektäquivalentes. Es hat aber auch Konversionscharakter im Sinne einer Gebärde: Sich-groß-Machen im Wutanfall mit anschließender Unterwerfung im Schwächeanfall.
     
    c)
Das Symptom als Stressbegleiter
    Unter langdauerndem, heftigem psychischen Stress kann es zu einer körperlichen Dekompensation mit organischer Symptombildung kommen. Die starke psychische Spannung zieht das körperliche Geschehen in Mitleidenschaft, bewirkt insbesondere eine Dysfunktion der vegetativ und endokrin gesteuerten Organfunktionen, die eigentliche

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