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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Partner ab, aber es gibt andere Aspekte, denen das bisherige Kollusionsmodell zu wenig Rechnung tragen kann. Nach wie vor passend ist die narzisstische Kollusion mit dem Thema Liebe als Einswerden und das orale Modell mit dem Thema Liebe als «Einander-Umsorgen». Durch die Emanzipationsbewegung hat das Thema der sicherheitspendenden Abhängigkeit (anal-sadistische Kollusion) und das phallische Imponiergehabe in dem bewunderungheischenden phallischen Modell an Bedeutung verloren. Diese beiden Modelle finden sich heute vor allem bei Migranten aus traditionellen patriarchalen Kulturen. Gemeinsam ist den vier Kollusionsmodellen eine progressiv-regressive Rollenpolarisierung der Partner. Diese hat heute eine geringere Bedeutung, weil sowohl die regressive wie auch die progressive Rolle den heutigen Beziehungsidealen nicht mehr entspricht: Ein regressives Verhalten entspricht nicht der heutigen Vorstellung von Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit der beiden Partner, aber auch die progressive Haltung entspricht nicht der heutigen Beziehungsform der Gleichwertigkeit. Hingegen gibt es neue Themen, die heute zu Kollusionen Anlass geben. Der kulturellen Entwicklung entsprechend, kreisen sie um das Thema der Selbstverwirklichung und Wahrung der Autonomie.
    Eine Kollusion bildet sich aus einer korrespondierenden Ambivalenz der Partner in einem gesellschaftlichen Konfliktthema. Die Ambivalenz wird aufgespalten, jeder Partner übernimmt einen Part, der in Polarisierung zum Part des Partners steht. Die neuen Kollusionsthemen, also das Thema der Bindung, der absoluten Liebe und des sexuellen Pseudobegehrens, sind Themen, die einen konflikthaften gesellschaftlichen Wandel betreffen, den das Kollusionspaar zu bereinigen sucht.
    In den letzten Jahrzehnten haben sich tiefgehende Veränderungen im Verständnis von Partner- und Liebesbeziehungen ergeben, die sich in den sich wandelnden Kollusionsmodellen abzeichnen.

10.1. Die Kollusion der Bindung Kollusion der Bindung
    Die Bindungstheorie von J OHN B OWLBY (1957) und M ARY A INSWORTH ist eine Theorie der zwischenmenschlichen Beziehung. Sie wurde an der Mutter-Kind-Beziehung im ersten Lebensjahr studiert. Es wurden verschiedene Gruppen von Babys bezüglich ihres Schreiverhaltens unterschieden: hohes Schreiverhalten als ein Zeichen unsicherer Bindung, geglückte Bindung bei geringem Schreiverhalten und dazwischen eine dritte Gruppe. Die an Säuglingen erhobenen Befunde wurden dann teilweise auf das Bindungsverhalten Erwachsener übertragen und in der Paartherapie angewandt. Die Emotionally Focused Couples Therapy EFT von S USAN J OHNSON , ein in Nordamerika verbreiteter Ansatz von Paartherapie, gibt unsicher gebundenen Partnern Anleitungen, wie sie miteinander eine sichere Bindung zu schließen vermögen. Der Therapeut ist ein Coach, der bindungsbegründende Interaktionen in der Therapiesitzung fördert. Das Bindungsproblem ist in der Einzel- und Paartherapie von Bedeutung.
    Viele junge Erwachsene geben heute den starken Wunsch nach einer verbindlichen Liebesbeziehung an. Sie sehnen sich danach, irgendwo zu Hause zu sein, dazuzugehören, einen Platz in der Welt zu haben. Sie suchen eine feste Bindung zu ihrem Partner. Sie bewundern und beneiden jene Menschen, die in einer jahrzehntelangen Beziehung leben, ein gemeinsames Heim aufbauen, eine Familie gründen und nach einem langen gemeinsamen Leben miteinander alt werden. Doch wenn diese jungen Erwachsenen in eine konkrete Beziehung eintreten, die Verbindlichkeit in Anspruch nimmt, ergreift sie oft Panik. Das Jawort am Traualtar erleben sie als größte Klippe im Leben. Ein mir bekannter Psychiater lief zweimal auf der Treppe zum Standesamt davon; und als er schließlich den Mut aufbrachte, beim dritten Versuch – Augen zu und durch –, das Jawort zu sprechen, war er bald darauf wieder geschieden. Doch nach der Scheidung wohnte er wieder friedlich mit seiner Partnerin zusammen. Für manche hat das Jawort eine fast magische Bedeutung, die nicht reduziert wird durch die Tatsache, dass heute eine Beziehung ohne große Probleme geschieden werden kann. Die Betroffenen fürchten, ihre persönliche Selbständigkeit in einer festen Bindung zu verlieren. Sie lassen sich durch eine Scheidung nicht entmutigen, erneut eine verbindliche Beziehung zu suchen. Nach wie vor ist die Ehe die häufigste Lebensform im Erwachsenenalter. Die meisten gehen nach einer Scheidung eine neue Ehe ein. Aber nach Wiederverheiratung sind Scheidungen noch

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