Die Zweierbeziehung
Gleichwertigkeitsbalance hinwegzusetzen. Recht oft ist das ein heilsamer Schock für den Partner in seinem Bremsverhalten und zwingt ihn, sich nun den Entwicklungsanforderungen zu stellen und mitzuziehen. Möglicherweise wird sich der Partner aber noch mehr auf destruktives Verhalten versteifen. Mit dem offenen Bruch der Gleichwertigkeitsbalance fällt oft die Beziehung auseinander. Eine Scheidung kann dann wie eine Entlassung aus dem Gefängnis erlebt werden, weil nun endlich der Weg frei geworden ist zu einer eigenständigen Entwicklung ohne hemmende Rücksichtnahme auf den Entwicklungsausgleich mit dem Partner. In der psychotherapeutischen Behandlung von Ehekonflikten sollte darauf geachtet werden, dass beide Partner die gleichen Reifungschancen erhalten. Andererseits soll die Solidarität mit dem Partner ihre Grenzen haben und darf die Persönlichkeitsentfaltung auch nicht in unzumutbarem Maße behindern. Anzustreben ist eine offene und direkte Auseinandersetzung um die Gleichwertigkeit ohne Einsatz repressiver und destruktiver Mittel.
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3. Phasen der Ehe als Entwicklungsaufgaben Phasen der Ehe als Entwicklungsaufgaben
Die Ehe wird häufig in der Vorstellung geschlossen, sie sei ein statisches Gebilde, das durch all die Jahre hindurch gleich bleibe und gleich bleiben müsse. Die Märchen hören mit dem Satz auf: «Und sie heirateten und waren glücklich bis ans Ende ihrer Tage.» In der Realität ist die Ehe aber nicht ein Zustand, sondern ein Prozess. Viele kollusive Konfliktlösungen entstehen und fixieren sich gerade dadurch, dass die Partner sich nicht in diesen Entwicklungsprozess einzulassen wagen aus Angst, ihr ursprüngliches Glück damit zu zerstören. Sie klammern sich an die ursprüngliche Definition ihrer Beziehung und möchten ihren Partner auf diese verpflichten. Sie sind von dem Bestreben erfüllt, sich gegen jegliches Aufweichen und Infragestellen ihrer Beziehung abzusichern. Erweist sich dann aber ihre Beziehungsdefinition über die Jahre hinweg nicht mehr als brauchbar, so kommt es zu Enttäuschung, Angst, Wut und Trotz. Für die Erziehung zur Ehe wäre es wichtig, sich mit der Tatsache vertraut zu machen, dass jede Entwicklungsphase typische und absolut normale Krisen für die Ehe mit sich bringt, dass aber gerade das Ringen um eine adäquate Bewältigung dieser phasentypischen Krisen eine Ehe lebendig erhält.
Das Ausweichen vor den Phasenkonflikten der Ehe kann sich in verschiedener Weise zeigen. Es kann sein, dass die Partner die Ehe im Idealisierungszustand erhalten möchten. Es darf nicht wahr sein, dass zwischen ihnen Konflikte, Meinungsverschiedenheiten oder Trübungen der Beziehung entstehen könnten. Gewisse Themen werden mit einem Tabu belegt und immer größere Bereiche aus dem Gespräch ausgeklammert, sodass die Ehe abstirbt. Es kann sein, dass die Partner sich auf übergeordnete Verpflichtungen und Sanktionen berufen und den Ausbruch eines Konfliktes mit von der Gesellschaft oder einer religiösen Gemeinschaft entlehnten Regeln zu verhindern suchen. Heute indessen sieht man bei jungen Paaren oft die Tendenz zur «Flucht nach vorn». Sie haben gelernt, dass Konflikte zur Ehe gehören, dass man Konflikte austragen und offen darüber sprechen sollte. Sie führen dann miteinander eine nicht enden wollende «Ehetherapie», um alles, was an Konflikten auftreten könnte, sofort zu bereinigen. So anerkennenswert die Grundabsicht ist, diese Bemühungen können auch mit gegenläufigen Strebungen vermischt sein. Im Anspruch auf totale Offenheit kann das unbewusste Verlangen mitwirken, den Partner zu kontrollieren und ihn «mit Verständnis» zu manipulieren. Das Bedürfnis, alle Meinungsdifferenzen sogleich zu klären, kann der Angst vor allem Trennenden entspringen.
Die Ehe erfordert den Mut zur echten Dynamik, zum Risiko der Freiheit. Eheleute müssen bereit sein, sich ihren Krisen in echter Weise auszusetzen. Nicht das Auftreten von Ehekrisen ist das Pathologische. Die pathologischen Phänomene der Ehe treten vielmehr oft erst durch das Ausweichen vor diesen an sich normalen und unumgänglichen Reifungskrisen auf. Der Rückzug aus der echten Auseinandersetzung kann das Festfahren in Kollusionen begünstigen, wie sie in diesem Buch beschrieben werden sollen. Bevor ich mich den neurotischen Ehestörungen zuwende, möchte ich in gedrängter und unvollständiger Form auf diese Normalkrisen der Ehe verweisen.
Die Ehe umfasst praktisch das ganze Erwachsenenalter. Sie
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