Die Zweierbeziehung
Idealerwartungen und der Realität nicht mehr überbrücken lässt und sie gezwungen sind, das Getrenntsein von der Beziehungsperson durch deren Anderssein wahrzunehmen.
Wer nicht ganz mit ihnen schwingen kann, ist für sie eine Kränkung. Sie teilen die Menschen ein in «weiße», das heißt Freunde, und «schwarze», das heißt Feinde. Da Narzissten in ihrer Hoffnung auf totale Harmonie immer nur Enttäuschungen erleben, ist ihre Stellung zu den Menschen oft geprägt von Resignation, Verbitterung, Zynismus und Rachephantasien. Sie stehen in einer
paranoiden Position,
sind zutiefst misstrauisch, glauben an keine Liebe, an keine Werte, spalten alle echten Gefühle ab, da diese nur die Gefahr neuer Verletzungen in sich bergen. Sie leiden oft an einem Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit, sind dauernd bedroht, in eine Depression zu verfallen, die sie mit hypomanischer Betriebsamkeit, Theatralik und dauernder geselliger Anstrengung zu überspielen versuchen. Viele sind geistreiche Gesellschaftskritiker oder zynische Satiriker, die sich darauf verlegen, andere Menschen der Heuchelei und Verlogenheit zu überführen. Sie sind da völlig unerschrocken, denn sie haben nichts zu verlieren, da sie längst alles verloren haben. Voller Bitterkeit wollen sie andern die Illusion vom Guten, Hohen, Edlen, von menschlicher Solidarität und Liebe zerstören. Sie sehen das menschliche Zusammenleben als einen Kampf aller gegen alle, sie sehen im Menschen nur den rücksichtslosen Egoisten, der sich altruistischer Theatralik bedient, um desto sicherer zu seinen Vorteilen zu kommen. Der verzweifelte Eifer, mit dem sie anderen gegenüber die Ethik des rücksichtslosen Egoismus vertreten, lässt deutlich die Sehnsucht nach dem Glauben an das Gegenteil, die Sehnsucht nach Urgeborgenheit spüren. Die Diskrepanz zwischen verbalisiertem Nihilismus und schüchtern verborgener Sehnsucht nach Zärtlichkeit übt auf viele Beziehungspersonen einen speziellen Reiz aus. Sie möchten dem Narzissten den Glauben an die Liebe zurückgeben, ihn voller Verständnis umhegen und ihn in seiner Zerbrechlichkeit schützen.
So direkt und kompromisslos der Narzisst in seinen Kritikäußerungen ist, er selbst reagiert überempfindlich auf jede Kritik oder Weigerung, ihn zu bewundern und zu idealisieren. Wenn eine Beziehungsperson ihn nicht vorbehaltlos unterstützt, so wird sie auf die schwarze Liste gesetzt und ist ausgestoßen. Es wird ihr jede Existenzberechtigung abgesprochen, sie ist nicht mehr, der Bruch ist radikal und endgültig. Sie leben nach der Devise: «Wer nicht für mich ist, ist wider mich.» Der Narzisst unternimmt nichts zur Versöhnung. Ein echter Streit unter Freunden ist ihm schwer vorstellbar. Die Radikalität, Kompromisslosigkeit und Unerschrockenheit, mit der Narzissten ihre Feinde bekämpfen und sich von ihnen absetzen, imponiert vielen Menschen als Mut und Selbständigkeit. Viele sehen in ihnen starke Führer, oft auch Märtyrer, Opfer ihrer Feinde, was ihnen bedingungslose Anhängerschaft derjenigen verschafft, die aus ähnlicher Struktur heraus sich mit einem Narzissten zu identifizieren suchen. Sie nehmen den Narzissten zu ihrem Idol, stellen sich ganz in seinen Dienst, werden ihm hörig und sind zu totaler Hingabe bereit. In messianischem Eifer ziehen Narzissten mit ihren Jüngern in den heiligen Krieg, sie verlangen blinde Ergebenheit und verstehen es, die Gruppenkohäsion hochzuhalten durch ein Feindbild, in das alles Schlechte projiziert wird. Häufig bilden sich um sie religiöse, politische oder auch psychotherapeutische Sekten. Sie werden von ihren Anhängern idealisiert als von mächtigen Gegnern bedrohte, aber die Menschheit ins Paradies führende, omnipotente Führer und Heilsbringer. Sie verstehen es, den äußeren Feind so bedrohlich darzustellen, dass ihm gegenüber jede Methode aggressiver Entladung nur billig sein kann. Sie kämpfen so erbarmungslos und grausam, dass ihre Mitläufer vor Schrecken erzittern beim Gedanken, selbst einmal in die Feindposition zu geraten. Ganze Völker sind und werden immer wieder Opfer narzisstischer Führerfiguren, wie die Geschichte aus allen Jahrhunderten darlegt.
Der sozial gehemmte, empathisch-schizoide Narzisst scheint vordergründig einen deutlichen Gegensatz zum phallisch-exhibitionistischen zu bilden. Er drängt sich der Umgebung nicht auf, ist introvertiert und wartet still, bis man seine Werte entdeckt. Aber gerade mit seiner feinen Schüchternheit und seiner bedeutungsschweren
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