Die Zweierbeziehung
Zurückhaltung beeindruckt er die Beziehungspersonen. Man rätselt, was in ihm vorgehen könnte, und neigt oft dazu, ihn zu idealisieren. Von ihm gilt das Sprichwort: «Stille Wasser gründen tief.» Er verfügt oft über eine außergewöhnliche Einfühlungsgabe, ist ein guter Zuhörer und wird rasch zur Vertrauensperson, der man seine innersten Geheimnisse mitteilt. Obwohl eine Stellungnahme seinerseits ausbleibt, fühlt man sich von ihm zuinnerst verstanden, und dieses Erlebnis vermittelt einem ein langersehntes Wohlbefinden. Es stellt sich eine narzisstische «Unio mystica» ein, ein ozeanisches Glücksgefühl, ein Urzustand, der durch keine Subjekt-Objekt-Spaltung getrübt wird.
In der idealisierten Konkordanz, wie sie sich vor allem mit den schizoiden Narzissten herstellt, wird vieles im Gespräch immer nur angedeutet, ja das Wort wird als im Grunde überflüssig, da unzureichend abgelehnt. Der Narzisst in seiner Vorstellung des Einsseins nimmt als gegeben an, dass der Partner all seine Gefühle, Strebungen und Phantasien mitvollzieht. In der Behandlung ist er oft erstaunt und gekränkt, wenn der Therapeut Fragen über Vorgeschichte oder jetziges Befinden stellen muss. Er ist befremdet, wenn dieser nicht alles über ihn bereits weiß, nachdem er doch – innerlich – dauernd mit ihm im Gespräch steht. Als Therapeut ist man in der schwierigen Lage, entweder die Realität des Nichtorientiertseins zu vertreten und damit die einzige, zerbrechliche Beziehungsmöglichkeit des Narzissten, nämlich die idealisiert-symbiotische, zu zerstören oder aber dem Narzissten seine phantasierte Union zu belassen, sich damit als allwissend idealisieren zu lassen und dabei die Ungewissheit aushalten zu müssen, was der Narzisst mit seinen Andeutungen eigentlich meint. Man kann oft nur ahnen, was in ihm vorgeht, ohne je sicher zu sein. Wenn man an ihn den Anspruch stellt, sich klarer auszudrücken und sich auf eine Stellungnahme festzulegen, so hat er den Eindruck, man wolle ihn in den Griff bekommen, ihn auf ein festes Bild verpflichten und festnageln. Er entflieht einem wie eine Taube, wenn man nach ihr greifen will.
Dank der Besonderheit der therapeutischen Beziehung mag ein Therapeut diese Ungewissheit aushalten. Für einen Liebespartner ist das aber kaum zu ertragen. Er wird eine klare Stellungnahme fordern, der sich der Narzisst entziehen wird. Der Narzisst muss sich immer einen Fluchtweg offenhalten. Er will auch deutlich spüren können, dass man ihm diesen Fluchtweg zugesteht.
Der Partner fühlt sich nicht als eigenständiger Mensch vom Narzissten gesehen, sondern muss sich nach dessen Idealbild verhalten. Die Beziehung ist so zerbrechlich, dass keinerlei Erwartungen und Ansprüche gestellt werden dürfen. Durch diese Art, eine Beziehung nur im Andeutungshaften zu halten, wird sie oftmals so verdünnt, dass sie steril werden kann und der Partner zuletzt kaum mehr weiß, ob überhaupt noch eine Beziehung besteht.
Mutter-Kind-Erfahrungen des Narzissten
Über die charakteristischen Züge der Mutterbeziehung narzisstischer Persönlichkeiten gibt es eine reichhaltige Literatur. In der Regel nehmen die Mütter das Kind nur als einen Teil ihrer selbst wahr. Diese Beziehungsform lässt sich nicht mehr aufrechterhalten, sobald das Kind in die Autonomieentwicklung kommt, selbst sprechen und gehen lernt, eigene Initiative entwickelt und sich von der Mutter absetzen will. Diese Mütter reagieren darauf wuterfüllt und empfinden jede Tendenz des Kindes, von ihren eigenen Vorstellungen und Erwartungen abzuweichen, als persönliche Kränkung und Undankbarkeit. Sie entwickeln Strategien, die das Kind daran hindern, sich als eigenes Selbst erleben zu können. Eine Strategie liegt darin, dem Kind andauernd Eigenschaften und Verhaltensweisen zuzusprechen, die nur zur Vorstellung passen, welche die Mutter sich zurechtgelegt hat, so etwa in folgender Weise: «Etwas so Schlechtes kannst du nicht denken; ich weiß, das bist nicht du; ich weiß, wie du bist; so wie ich kannst nicht einmal du dich kennen, ich kannte dich schon, als du noch im Mutterleib warst.» Solche Mütter glauben zu wissen, was und wie man zu fühlen, zu denken und zu erleben hat. Besonders belastend ist, wenn jede Abweichung von dem Bild, das sie von einem haben, mit der Erzeugung von Schuldgefühlen belastet wird. «Wie undankbar von dir, wenn du bedenkst, was ich deinetwegen alles auf mich genommen und gelitten habe.» Wegen des Kindes musste sie heiraten,
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