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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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können im Orgasmus die Gefahr der Auflösung der Selbstgrenzen spüren. Sie wissen plötzlich nicht mehr, ob die Sexualerregung von ihnen selbst oder vom Partner gefühlt wird (E RIKSON ) oder ob der Penis ein Teil von ihnen oder ein Teil des Partners ist. Manche Männer befürchten, es werde ihnen bei der Ejakulation zu viel Lebenssaft abgezogen.
     
    Homosexuelle Tendenzen sind oft ausgeprägt, ja sie sind Aspekt narzisstischer Beziehungen (F REUD [1914]: Man liebt nach dem narzisstischen Typus, was man selbst ist, sich selbst). Auch Perversionen gehören zur narzisstischen Beziehung entsprechend dem partiellen Charakter von Triebziel oder Triebobjekt. Obwohl homosexuelle und perverse Tendenzen für die Psychopathologie der Ehe eine wichtige Rolle spielen können, werden sie in diesem Buch nicht eingehend behandelt.
     
    Komplementärnarzissten als Partner von Narzissten
    Die Liebes- und Ehepartner von Narzissten weisen untereinander gewisse Gleichartigkeiten auf. Bezeichnet man Narzissten in der Umgangssprache meist als egoistisch, so ihre typischen Partner als altruistisch. Sie haben Minderwertigkeitsgefühle, halten sich für wertlos, liebesunwert und haben ein schlechtes Selbstgefühl bis zu eigentlich selbstdestruktiven Tendenzen. Sie gelten als bescheiden, als Menschen, die kein Aufheben von sich machen, nicht anspruchsvoll sind, sich widerstandslos einfügen und anpassen. Sie sind es meist von Kindheit an gewohnt, entwertet zu werden. Es wurde ihnen weniger ein falsches Selbst aufgedrängt als vielmehr das Recht auf ein eigenes Selbst abgesprochen.
    Wenn man sie genauer kennt, sieht man, dass sie nicht so bescheiden sind, sondern dass sie vielmehr Größenphantasien haben, deren sie sich schämen oder derentwegen sie schwere Schuldgefühle empfinden. Sie versuchen diese Größenphantasien abzuwehren, da sie glauben, keinen Anspruch darauf haben zu dürfen. Oft sind sie beruflich tüchtig, und doch haben sie immer das Gefühl, nicht sie selbst zu sein. In der Mehrzahl sind es Frauen, die sich nicht ein positives frauliches Selbstbild machen können. Sie suchen sich einen Partner, den sie idealisieren, in den sie ihr Ideal-Selbst projizieren, um sich mit diesem zu identifizieren und sich so ein akzeptables Selbst zu entlehnen (projektive Identifikation mit dem Ideal-Selbst ihres Geliebten). Manche Chefsekretärinnen können da als Beispiel dienen. Sie sind ganz identifiziert mit ihrem Chef, den sie verehren und dessen Ruhm und Glanz sie überhöhen. Sie stellen sich ganz in seinen Dienst, fühlen sich in ihn ein und kommen jedem seiner Wünsche zuvor. Sie bilden gleichsam die Infrastruktur ihres Chefs, erledigen seine Telefonate, vereinbaren seine Termine, ordnen seine Akten, bereiten ihm Kaffee, und wenn sie einige Jahre in dieser Stellung gestanden haben, sind sie diejenigen, die alles wissen und alles kontrollieren, während ihr Chef sich ohne sie gar nicht mehr zurechtfindet. Der Chef ist zwar weiterhin der Große, aber ohne seine Sekretärin ist er nicht mehr funktionsfähig. Sie bildet nicht nur seine rechte Hand, sondern den Boden, auf dem er steht und wächst. Sie wird für ihn – gerade wegen ihrer scheinbaren Anspruchslosigkeit und Dienstbarkeit – absolut unentbehrlich. Er ist schließlich mehr auf sie angewiesen als sie auf ihn. Sie füllt ihn aus und lenkt sein Tun und Denken. Er ist zu einem Teil von ihr geworden und sie zu einem Teil von ihm. Oft ist sie es, die den Chef erst richtig zum Chef hochstilisiert. Im Vorzimmer sitzend, hütet sie den Zutritt zu ihm wie ein Cerberus und überhöht so die Distanz zu seinen Untergebenen. Der Besucher, der bei ihr die Zulassung zu dem heiligen Gemach erwartet, wird von Ehrfurcht ergriffen und von Herzklopfen befallen bei all der Geschäftigkeit, die die Sekretärin vor seinen Augen entwickelt und mit der sie die Bedeutung des Chefs unterstreicht. Keiner soll sich unterstehen, es ihrem Chef gegenüber an Respekt mangeln zu lassen.
    Ganz analog verhält es sich in der Liebe. Solche Frauen sind bereit, sich für ihren schwärmerisch verehrten und idealisierten Mann aufzugeben, ohne Ansprüche für sich selbst zu stellen. Sie leben für ihn und in ihm. Sie sind scheinbar dem Partner hörig und zeigen die Bereitschaft, ihn kritiklos und bedingungslos zu idealisieren nach der Devise: «Liebe ist, wenn es für mich nur noch dich gibt.»
    Der Komplementärnarzisst ist im Grunde auch narzisstisch strukturiert, aber mit umgekehrten Vorzeichen. Da, wo der

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