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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Narzisst nur sich selbst bewundern lassen will, will der Komplementärnarzisst sich ganz für einen anderen hingeben. Da, wo der Narzisst sein Selbstgefühl erhöhen will, will sein Partner auf ein eigenes Selbst verzichten, um das Selbst eines anderen zu erhöhen, mit dem er sich identifiziert. Da, wo der Narzisst voller Angst vor Verschmelzung mit einer Beziehungsperson ist, hat sein Partner den Wunsch, ganz im anderen aufzugehen. Beide weisen die gleichen Grundstörungen auf, nämlich ein schlechtkonfiguriertes, in seiner Abgrenzung gefährdetes und als minderwertig empfundenes Selbst. Nur die Abwehrform oder die Art, zu versuchen, mit diesem schlechten Selbst zurechtzukommen, ist verschieden: Der Narzisst versucht sein schlechtes Selbst durch den Partner aufzuwerten, der Komplementärnarzisst dagegen sucht sich ein idealisiertes Selbst bei einem anderen zu entlehnen.
    Der Narzisst spricht auf den komplementärnarzisstischen Partner an, weil er vom Liebesobjekt bewundert werden will und weil ihm vor allem wichtig ist, dass er seinerseits auf Ansprüche und autonome Initiative des Partners keine Rücksicht nehmen muss. Er fühlt sich in seinem Selbst nicht gefährdet, weil der Partner sich ihm ja ganz unterordnet. Solche Beziehungen findet man häufig in Ehen kreativer Männer, die ganz mit ihrem Werk identifiziert sind und verlangen, dass sich die Frau in den Dienst ihrer Arbeit stellt, ohne diese durch eigene Ansprüche zu behindern. Das gelingt am ehesten dann, wenn sich diese Frauen als mütterlicher Nährboden des Mannes fühlen und all die Aggressionen, die sie gegenüber ihrem frustrierenden Mann empfinden, gegen außen, insbesondere auf seine Feinde und Rivalen projizieren können. Solche Frauen findet man nicht selten in Professoren-Kreisen, wo es in jedem zweiten Satz heißt: «Der Fritz, mein Mann, hat gesagt … hat getan …» Dies bleibt selbst nach dem Tode des Mannes so, ja nimmt nicht selten nach dem Tod noch groteskere Züge an. Noch nach 20 Jahren leben solche Frauen nur mit einem vom Mann entlehnten Selbst. «Der Fritz, mein Mann, würde er noch leben, hätte jetzt gesagt … hätte so was nie getan …» usw. Mag der Mann in Wirklichkeit noch so rücksichtslos zu ihnen gewesen sein, er wird bedingungslos idealisiert und spendet ihnen weiterhin alle Lebenskraft.
    Im längeren Zusammenleben erweist sich die Sicherheit und Freiheit des Narzissten gegenüber seinem ihm ergebenen Partner allerdings als trügerisch. Dadurch, dass der Partner nur noch empathisch in ihm lebt, ganz auf ihn ausgerichtet ist und jede Regung, jede Stimmungsschwankung, jede Phantasie mitvollzieht, verschmilzt er mit dem Narzissten, durchdringt ihn und übt – so paradox das ist – gerade durch die Selbstaufgabe eine starke Kontrolle aus. Es ist am Ende nicht mehr klar, wer in wem aufgeht und wer von wem sein Selbst entleiht. Es wiederholt sich auch bald eine ähnliche Beziehung, wie sie früher zur Mutter bestanden hatte und die zu vermeiden das höchste Anliegen des Narzissten war, nämlich dass die Frau dem Mann vorgibt, ihn weit besser zu kennen als er sich selbst. Immer mehr engt sie ihn ein mit dem Idealbild, das sie von ihm hat. Was ihn zunächst ehrte, verpflichtet ihn nun; die Würde wird zur Bürde. Das Bild, das sie von ihm hat, war zunächst sein Ideal, sein Leitbild, nun wird es sein Gefängnis.
    Dem Narzissten wird diese Situation unerträglich. Er möchte den Partner, der so sehr in ihn eingedrungen ist, wieder ausstoßen oder ihn zerstören. Er versucht das, indem er den Partner erniedrigt, verletzt, kränkt, sich ihm gegenüber gemein, rücksichtslos und kalt benimmt. Das alles nützt nichts. Sein Partner nimmt alles hin nach der Devise: «Ich kenne dich genau, ich weiß, dass du es im Grunde gar nicht so meinst.» Dieser Devise gegenüber ist der Narzisst völlig hilflos. Er kann sich benehmen wie der leibhaftige Satan, der Partner betrachtet das nachsichtig als sein «falsches Selbst». «Das ist nicht er, er ist im Grunde ein guter Mensch, nur ist er sehr sensibel und verletzbar, es ist nur aus Schwäche, wenn er sich so benimmt.» Der Narzisst kann sich seinem Partner nicht mehr entziehen. Er kann sich zwar gewaltsam losreißen, er kann sich scheiden lassen und eine andere Frau heiraten, er kann ein Verbrechen begehen und sich langjährig ins Gefängnis stecken lassen, er kann sich in eine Geisteskrankheit zurückziehen, er kann den Partner zusammenschlagen oder selbst sterben, es ändert nichts

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