Die Zweierbeziehung
sich ausstoßen und ihn zerstören will. In existenzieller Wut und rücksichtsloser Kälte kämpft er um die Erhaltung seines Selbst und kann sich doch nicht befreien, weil er ganz vom Partner durchdrungen ist. Seine Schläge gegen den Partner fallen ins Leere, weil dieser sich ihm gar nicht als Individuum mit eigener Autonomie entgegensetzt, sondern nur durch ihn leibt und lebt als Vertreter und Sachwalter der Ideale seines besseren Selbst, auf das er sich verpflichten wollte. Der Interaktionszirkel lautet jetzt für den Narzissten: «Ich bin so bös und rücksichtslos, weil du mich so verpflichtest und festlegst», und für den Komplementärnarzissten: «Ich verpflichte dich und enge dich ein, weil du so bös und rücksichtslos bist.»
Auch der Komplementärnarzisst ist echt verzweifelt. Er hat sich ganz für diese Beziehung aufgegeben und nur noch für seinen Partner gelebt. Er hat seinem Partner total vertraut und fühlt sich jetzt in seinen tiefsten Hoffnungen und Vorstellungen betrogen. «Ich habe dich ja so geliebt, wie kannst du mich da so enttäuschen. Ich hab in dir alles gesehen, was ich vom Leben erwarten konnte; nichts hätte mir außer dir noch etwas bedeuten können, und jetzt entpuppst du dich als derart gemein.» Der Komplementärnarzisst ist existenziell darauf angewiesen, im Partner die Verkörperung seines Ideal-Selbst zu bewahren. In fast wahnhafter Weise klammert er sich an dieses Bild und lässt sich durch keine Enttäuschungen dazu bringen, seine Erwartungen, die er auf den Partner richtet, zu korrigieren. Pausenlos versucht er, den Partner wieder mit diesem Idealbild zur Deckung zu bringen – ohne Bereitschaft, ihn so sehen und akzeptieren zu wollen, wie dieser sich fühlt.
Während dem Narzissten nur eine sehr verdünnte Beziehung möglich wäre, erträgt der Komplementärnarzisst nur das Absolute und lehnt alle Halbheiten und Kompromisse in der Beziehung ab.
Auf ein Schema übertragen, stellt sich der Zusammenhang zwischen Partnerwahl und Paarkonflikt nun folgendermaßen dar:
Die narzisstische Kollusion
Im Verlauf zeichnen sich viele narzisstische Ehen dadurch aus, dass die Partner offenbar völlig desillusioniert und kalt nebeneinander herleben, jeder seinen Interessen nachgeht und seine Liebhaber und Geliebten hat. Manche haben über viele Jahre keine sexuellen Beziehungen mehr miteinander. Sie bleiben angeblich nur den Kindern zuliebe oder wegen der materiellen Vorteile beisammen. Lernt man die Verhältnisse genauer kennen, so sieht die Situation viel komplexer aus. Hinter der kalten Fassade brodeln wilde Leidenschaften, Eifersucht und Hass, hinter der degagierten Haltung beachten und kontrollieren sich die Partner in ihrem ganzen Tun und Denken. Die distanzierte Haltung erweist sich als verzweifeltes Abwehrarrangement gegen die Gefahr allzu großer Nähe.
Narzisstische Ehen werden recht oft geschieden. Der Narzisst erträgt es schlecht, wenn er verlassen wird, während es ihm viel leichter fällt, seinen Partner zu verlassen. Dabei kommt ihm seine Fähigkeit zugute, Gefühle abzuspalten. Er fällt zwar vorübergehend in ein narzisstisches Loch, ist gelähmt und depressiv, kann aber diese narzisstische Leere bald durch eine erneute Partnerbeziehung wieder auffüllen. Der frühere Partner existiert für ihn einfach nicht mehr oder wird zur Verkörperung von Schlechtigkeit, Dummheit und Unmenschlichkeit, gegen die man sich absetzen muss.
Vom Partner verlassen zu werden bedeutet dagegen für den Narzissten oft eine existenzielle Katastrophe. Einer unserer Patienten verfiel, als ihm die Frau unerwartet ihre Scheidungsabsicht eröffnete, einer schweren Depression mit Einschließen in der Wohnung, wochenlangem Rückzug ins Bett und bedrohlichem Hungerstreik. Er musste wegen starker Gewichtsabnahme schließlich psychiatrisch hospitalisiert werden. Ein anderer entwickelte in ähnlicher Situation hypochondrische Wahnvorstellungen. Er glaubte, an einem Hirntumor und an multipler Sklerose zu leiden, und sah sich als lebensunfähiges Präparat völlig entmenschlicht dahinsiechen. Beide hatten Mühe gehabt, sich zur Ehe zu entschließen, und hatten eigentlich nur dem Drängen ihrer Frauen nachgegeben. Beide hatten sich in der Ehe beruflich unerwartet gut entwickelt. Sobald ihnen der narzisstische Auftrieb ihrer Frau entzogen worden war, fielen aber beide wie abgestreifte Handschuhe in sich zusammen.
Der Komplementärnarzisst dagegen bleibt oft nach der Scheidung seinem Partner weiterhin
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