Die Zweierbeziehung
treu, obwohl dieser inzwischen längst wieder verheiratet ist, weitere Kinder bekommen hat und keinerlei Kontakt mehr zu ihm aufrechterhält. Der Komplementärnarzisst verharrt in der Vorstellung, im Grunde sei er für seinen früheren Partner unentbehrlich, der Partner sei ohne ihn gar nicht lebensfähig oder werde ohne ihn moralisch zugrunde gehen. So wie er werde niemand seinen Partner lieben und verstehen können.
Die narzisstische Kollusion beleuchtet ein Problem, das heute allgemein viel diskutiert wird, nämlich ob man jemanden zur Heirat drängen dürfe oder ob es jedem freizustellen sei, das Konkubinat der Ehe vorzuziehen. Obwohl ich persönlich die Institution Ehe als Leitbild weiterhin sinnvoll finde, scheint es mir wichtig, im konkreten Falle zu differenzieren. Manche, insbesondere narzisstische Persönlichkeiten sind von einer Ehe überfordert, sind aber durchaus in der Lage, befriedigende und sinnvolle Paarbeziehungen aufzubauen, die aber nicht so umfassend, intim, dauerhaft und verbindlich sind wie eine Ehe. Es geht um die Frage, wie viel Nähe jemandem erträglich und zuträglich ist. Das Maximum an Intimität ist keineswegs für jedermann das Optimum.
Beispiel 3: Ein 40-jähriger Junggeselle heiratete ein 15 Jahre jüngeres Mädchen. Beide waren in kaufmännischen Berufen tätig. Er hatte bisher ungezählte intime Verhältnisse gehabt und dabei die Freiheit genossen, Beziehungen immer in dem Moment abbrechen zu können, wo Schwierigkeiten auftraten. Er stammte aus unglücklichen Familienverhältnissen und hatte zu Hause fast nur Streit zwischen den Eltern gesehen. Er war von der Angst erfüllt, es könnte ihm in einer eigenen Ehe ähnlich ergehen wie seinen Eltern. Mit der Zeit sehnte er sich aber nach einer Ehebeziehung. Seine Frau schien ihm die ideale Partnerin zu sein, da sie ein hübsches, intelligentes, engelhaftes Wesen war. Er hatte den Eindruck, mit ihr könnte er eine Ehe wagen, da sie in ihm einen lebenserfahrenen Mann und väterlichen Beschützer erblickte und er somit kaum ein Risiko einzugehen schien, sich nach ihren Ansprüchen richten zu müssen. Er plante die Ehe als kinderlos, was von der Frau akzeptiert wurde. Sie sollte ihm gleichzeitig Frau und Kind sein. Sie idealisierte ihn als überlegenen Partner, der ihr alle Lebensschwierigkeiten abnehmen werde. Das Paar hatte vorehelich intime Beziehungen, die angeblich ohne Schwierigkeiten vollzogen werden konnten. Seit dem Tag der Heirat vor zwei Jahren unterblieben aber jegliche sexuellen Beziehungen. Das war die einzige Trübung in der im Übrigen von Spannungen verschonten Ehe. Aus diesem Grunde meldete sich das Paar für eine Ehepaargruppentherapie.
In der Behandlung fiel auf, dass bei weitem nicht nur im Sexuellen eine Kommunikationshemmung bestand, sondern dass diese alle Beziehungsbereiche betraf. Das Paar hatte noch nie eine Auseinandersetzung, geschweige denn einen Streit ausgefochten. Beide glaubten, dass damit die Idealisierungen, auf denen ihre Beziehung gründete, zusammenbrechen würden und dass dieser Bruch endgültig wäre. Die Frau war anfänglich in der Gruppe kaum äußerungsfähig und bot sich als scheues Reh an, das von allen geschont werden musste. Der Mann war seinem Wesen nach eher aktiv und gesellig, fühlte sich in der Gruppe aber durch die Anwesenheit seiner Frau gehemmt, da es ihm nicht möglich war, aus eigener Überzeugung zu sprechen, weil er seine Äußerungen immer in Einklang mit den Gefühlsreaktionen der Frau bringen wollte. Hatte der Mann ursprünglich geglaubt, in seiner Lebensführung und seinem Selbstgefühl durch diese unerfahrene, gläubig von ihm alles erwartende Frau in keiner Weise beeinträchtigt zu werden, so spürte er nun zunehmend, dass sie ihn gerade mit ihren Idealisierungen gefangen hielt. Hatte er sich anfänglich gefreut, sie nach seiner Vorstellung formen zu können, so spürte er jetzt, wie das «Bild» den «Meister» verpflichtete. In der Gruppentherapie waren beide erstaunt, dass andere Paare miteinander streiten konnten, ohne deswegen die Beziehung zu zerstören, vielmehr konnten sie feststellen, wie diese andererseits auch zum Austausch intensiver Liebesgefühle fähig waren. Allmählich grenzten sich die Partner deutlicher voneinander ab und lernten Dissonanzen in ihrer Beziehung auszuhalten. Die Frau begann eigene Initiative zu entwickeln, was für den Mann nicht leicht zu ertragen war. Er äußerte mal lachend, im Grunde sollte ein idealer Partner sich ihm gegenüber
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