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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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der allgemein als zartes Muttersöhnchen verlacht worden war, möchte sich in der Partnerschaft als ritterlicher Helfer und Heiler bewähren und jede Vorstellung eigener Mutterabhängigkeit ausschließen. Oder eine Trinkertochter möchte an ihrem trunksüchtigen Ehemann das wiedergutmachen, was sie ihrem Vater gegenüber versäumt zu haben glaubt, und ist deshalb zur Übernahme der oralen Mutterposition motiviert. Die Verhaltensmöglichkeiten, die angestrebt oder vermieden werden, sind meist bestimmt von Ängsten, Schuld- oder Schamgefühlen, die sich auf
thematisch entsprechende Erfahrungen und gefühlsbetonte Erinnerungen aus der Kindheit
beziehen (wie bei den Kollusionsmustern eingehend dargestellt).
    Ein wesentliches Kriterium gesunder Beziehungsfähigkeit sehe ich in der Flexibilität, in der ein Individuum je nach partnerschaftlicher Situation die progressive oder regressive Position einnehmen kann, oder negativ ausgedrückt, als wesentliches Kriterium für eine störungsanfällige Beziehungsfähigkeit sehe ich die Starre und Ausschließlichkeit, mit der sich jemand an eine der progressiven oder regressiven Extremformen klammert. In der Psychotherapie wird versucht, sich mit den angstvoll vermiedenen Phantasien vertraut zu machen, die jemanden drängen, sich in einer Extremposition zu verschanzen.
    Die Vorstellungen vom eigenen Eheverhalten können also eingeengt sein auf eine Extremposition, die man für sich anstrebt oder deren Komplementärform man ablehnt, um vorbestehende Angst-, Scham- oder Schuldgefühle zu bewältigen.
    Für diejenigen, die die
regressive Beziehungsposition
anstreben, heißt das:
    auf narzisstischer Ebene: «Ich will mich ganz für dich aufgeben, da ich es gar nicht wert bin, irgendwelche Beachtung und Bestätigung für mich zu beanspruchen. Für mich gibt es auf der Welt nur noch dich. Mein Glück liegt nur noch in deinen Händen.»
auf oraler Ebene: «Ich möchte so umsorgt und gepflegt werden, weil ich als Kind frustriert (oder verwöhnt) worden bin und weil ich auf keinen Fall selbst Mutterfunktionen übernehmen kann aus Angst, darin so zu versagen wie meine Mutter.»
auf analer Ebene: «Ich möchte mich dir passiv unterziehen und mich von dir widerstandslos führen lassen, so wie ich es zu Hause musste. Autonomieansprüche und Führungsambitionen meide ich aus Angst, dadurch von dir getrennt und verlassen zu werden.»
auf phallischer Ebene: «Ich will dich in deinen ‹männlichen› Funktionen fördern und mich auf die ‹passiv-feminine› Haltung bescheiden, wie es mir als Frau auferlegt ist.»
    Für diejenigen, die sich in einer
aktiv-progressiven Beziehungsposition
sehen, bedeutet dies:
    auf narzisstischer Ebene: «Ich will unter deiner Bestätigung über mich hinauswachsen und dein Idol verkörpern.»
auf oraler Ebene: «Ich will mich für dich wie eine ideale Mutter aufopfern und mich nicht mehr selbst als hilfloses Kind behandeln lassen.»
auf analer Ebene: «Da einer von beiden in der Ehe führen muss, übernehme ich dieses Amt, nachdem ich mich mein Leben lang immer ducken und unterordnen musste.»
auf phallischer Ebene: «Ich will mich in unserer Beziehung männlich bestätigen (und nicht weiterhin von der Mutter als Versager verlacht werden).»
    Kennzeichnend für frühkindlich geprägte Beziehungsstörungen ist die Einengung der an sich ambivalenten regressiv-progressiven Vorstellungen auf nur eine Extremseite unter Verdrängung der Gegenvorstellung. Das angestrebte Verhalten dient der Abwehr der verdrängten Beziehungsmöglichkeiten.
    Nun ist aus der psychoanalytischen Abwehrlehre bekannt: Je stärker eine Vorstellung verdrängt wird, desto aufdringlicher macht sie sich in verschlüsselter Form bemerkbar und schleicht sich zur Hintertüre wieder herein. Jene Grundthematik, von der eine Verhaltensmöglichkeit ausgeschlossen werden soll, spielt für Partnerwahl und Paarkonflikt eine besonders gefühlsgeladene Rolle.
    Je exklusiver zum Beispiel jemand für sich nur die autonome Machtposition anstrebt, umso bedrängender werden die unterdrückten Bedürfnisse nach passiver Abhängigkeit. Die Gefahr besteht, dass das verstärkte Bedürfnis nach passiver Abhängigkeit zu noch stärkerer Abweichung in die Machtposition führt.
    Intraindividuell besteht eine Balance zwischen angestrebtem Verhalten und unbewusstem Erleben. Je einseitiger das eheliche Verhalten wird, desto bedrängender wird die gegenläufige unbewusste Phantasie, und je stärker eine Vorstellung verdrängt

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