Die Zweierbeziehung
Gegenverhalten einzunehmen. Er wird also einen Partner wählen, von dem er sich in seinem Extremverhalten, zum Beispiel in progressivem Überfunktionieren, akzeptiert und womöglich sogar benötigt fühlen kann. Der Partner sollte ihm diese Verhaltensweise erleichtern, indem er sich als regressiv unterfunktionierend anbietet. Die interindividuelle Balance zwischen den Partnern wird also die intraindividuelle Balance des Ersteren stabilisieren, indem sein Partner regressive Passivität und damit den von ihm verdrängten Persönlichkeitsteil verkörpert.
Nun ist aber eine derartige Paarbildung nicht denkbar, wenn nicht auch der andere Partner aus eigener Motivation daran interessiert ist. Der zweite wird nun ebenso eine Verbindung suchen, in der sein angestrebtes regressives Abwehrverhalten bestätigt wird durch einen Partner, der den progressiven Anteil für sich beansprucht.
Jeder verkörpert also in seinem Verhalten das, was der andere als eigene Verhaltensmöglichkeit verdrängt.
Die ins Unbewusste verdrängten Verhaltensmöglichkeiten des einen entsprechen dem Sozialverhalten des andern. Zwischen den intraindividuellen Balancen der Partner und der interindividuellen Balance des Paares besteht eine Entsprechung. Jeder fühlt sich in dem von ihm selbst angestrebten Abwehrverhalten vom Partner benötigt und gleichzeitig vor der Gefahr bewahrt, in die ängstlich vermiedene Gegenposition zu verfallen, da diese ja vom Partner aus eigener Motivation für sich beansprucht wird.
Meist wird für die Beschreibung dieser Vorgänge der Begriff der Projektion verwendet. Schon seit Beginn der psychoanalytischen Forschung ist bekannt, dass ein Individuum die Tendenz hat, die ins Unbewusste verdrängten Phantasien auf andere Individuen zu projizieren. Der Begriff «Projektion» sollte in der Ehepsychologie aber kritisch verwendet werden. Das Bild, das einer vom anderen entwirft, ist bei Ehepaaren nämlich nicht so sehr eine Phantasie oder Andichtung, sondern eher eine Wahrnehmungseinengung. Von den Eigenschaften des Partners hat überhöhte Bedeutung, was den abgespaltenen und verdrängten Aspekten des eigenen Selbst entspricht, die man in den anderen verlegt, um sie für sich besser abzuwehren. L AING (1973) schreibt: «Der eine benützt den anderen nicht einfach als einen Haken, an dem sich Projektionen aufhängen lassen. Er ist bestrebt, im Anderen die eigentliche
Verkörperung
der Projektion zu finden, oder ihn zu veranlassen, diese Verkörperung zu werden» (S. 117).
Welche Auswirkungen haben diese Projektionen auf den Empfänger? In welcher Weise wird sein Verhalten und sein Unbewusstes von diesen Projektionen beeinflusst? In einer Paarbeziehung hat der Projektionsempfänger ein eigenes Interesse, die Projektionen des Partners auf sich zu lenken und diesen mit seinem Verhalten zu entsprechen. Projektionen sind also nicht leere Phantasien. In einer Partnerschaft haben sie reale Konsequenzen, indem sie das Sozialverhalten des Projektionsempfängers prägen.
6.2. Das gemeinsame Unbewusste Gemeinsames Unbewusstes der Partner
Die Partner sind sich durch gemeinsame, meist unbewusste Grundannahmen verbunden. Die gemeinsamen Vorstellungen und unbewussten Phantasien bilden die emotionale Basis der gegenseitigen Anziehung, der Intensität der Gebundenheit, aber auch die Basis des Paarkonfliktes.
Der Infragestellung solcher unbewusster, verbindender Grundannahmen setzen die Partner einen gemeinsamen Widerstand entgegen.
Im narzisstischen Paarkonflikt verbirgt sich hinter all dem bitteren Streit die den Partnern gemeinsame Sehnsucht nach einer absoluten, idealen und durch nichts getrübten Symbiose, deren Unerreichbarkeit durch Zufügen unablässiger Enttäuschungen klargestellt werden muss.
Im oralen Paarkonflikt sind sich die Partner im Grunde trotz aller Vorwürfe darin einig, dass in ihrer Beziehung sich Liebe als pflegende Mutter-Kind-Beziehung ereignen sollte.
Im anal-sadistischen Streit stimmen die Partner in der unausgesprochenen Ansicht überein, dass eine Zweierbeziehung auseinanderfallen werde, wenn deren Sicherheit nicht durch Gebundenheit, Kontrolle und Autorität gewährleistet werde.
In der phallischen Rivalität wird von beiden angenommen, dass der Mann im Grunde der Frau überlegen sein sollte.
Diese gemeinsamen unbewussten Grundannahmen sind oft unter all den Streitszenen verschüttet. Die verborgene Übereinstimmung der Partner wird oft erst im Verlaufe einer längerdauernden Therapie offenbar.
Die
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