Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
Vom Netzwerk:
um die gekämpft wird, haben meist einen prinzipiellen, übergreifenden Charakter. Die Weigerung des Mannes, seiner Frau einen Blumenstrauß zu bringen, rührt eventuell von der Erfahrung, dass, wenn er ihr heute Blumen bringt, morgen aber nicht gleich mit Pralinés aufkreuzt, sie ihn schon wieder fragen wird: «Hast du mich jetzt schon nicht mehr lieb?» Die tieferen Gründe liegen eventuell in einer oralen Kollusion mit ihren Wurzeln in unbewältigten Kindheitserfahrungen. Oder die Frau wird ihn wegen des Blumenstraußes gleich der Beziehung zu einer heimlichen Geliebten verdächtigen, der er womöglich einen Brillantring geschenkt habe (anale Kollusion). Die Weigerung der Frau, ihn in seiner beruflichen Leistung anzuerkennen, beruht auf der tiefen Frustration über ihre eigene Position als Hausfrau und Mutter (phallische Kollusion). Es ist schwer, jemanden für das zu loben, was man als Ursache eigener Unterprivilegierung betrachtet. Die Frau hat keine Lust, den Mann am Sonntag zu verwöhnen, wenn das nur dazu dient, ihn für die Wochenarbeit wieder fit zu kriegen.
    Es geht meist nicht um Banalitäten. Die Halsstarrigkeit ist die Folge ungezählter vorangegangener Frustrationen, die jegliche Verhaltensänderung als sinnlos erscheinen lassen. Es handelt sich sowohl um Frustrationen in den Erwartungen an den Ehepartner wie auch um gleichartige Frustrationen in der eigenen Kindheit.
    Die Unfähigkeit, sich in diesen Bagatellstreitigkeiten flexibel zu verhalten, zeigt mit besonderer Deutlichkeit, wie unfrei die Partner in ihrem gegenseitigen Verhalten sind. Die unbewusste Paardynamik determiniert das Partnerverhalten oft fast völlig.

6.5. Scheidung Scheidung und Auflösung der Kollusion
    Die Kollusion ist ein gruppendynamischer Prozess, in dem das Verhalten des einen mit einer gewissen Zwangsläufigkeit das Verhalten des anderen bestimmt und selbst von dessen Verhalten bestimmt wird. Dieser Prozess wird durch das gemeinsame Unbewusste aktiviert, durch das beiderseits verdrängte Grundthema, das in meist polarisierten Rollen ausgetragen wird. Wie kann es da nach Bildung eines eskalierenden Zirkelschlusses ein Entrinnen oder eine Trennung geben?
    In tiefgehenden Krisen und unter starkem Stress neigen Paarbeziehungen dazu, in zwei defiziente Formen zu dekompensieren:
    Die eine Form ist die Intensivierung der Kollusion, die durch ein Überengagement, durch eine noch stärkere Gebundenheit der Partner gekennzeichnet ist.
Die andere Form ist die Degeneration der Paarbeziehung, die Entmischung des Paares durch Weigerung, in der dyadischen Dynamik weiterhin mitzuagieren. In der Volkssprache sagt man: «Sie leben sich auseinander», «Sie entfremden sich», «Sie leben aneinander vorbei». Das gemeinsame Selbst löst sich auf. Die Funktionsprinzipien der klaren Abgrenzung, der flexiblen regressiv-progressiven Position und der Gleichwertigkeit des Selbstgefühls werden nicht mehr beachtet; das Verhalten der Partner ist nicht mehr aufeinander abgestimmt.
    Oft sehen sich Verheiratete in der Ehekrise nur vor der Wahl, entweder in Form einer Kollusion auf den Partner krankhaft bezogen zu bleiben oder in diesem Spiel nicht mehr mitzumachen. Meist kommt es in einer Ehekrise zunächst zur Intensivierung der Kollusion, bis dann einer oder beide Partner aus dem Teufelskreis auszusteigen versuchen. In der Regel gelingt das erst, nachdem das bisher geschlossene dyadische System geöffnet und Drittpersonen in den Konflikt einbezogen worden sind. Ist der Partner aber zur Stabilisierung seines Selbstgefühls oder zur Befriedigung grundlegender Bedürfnisse auf den anderen angewiesen, so ist er nicht bereit, ihn aus der Kollusion zu entlassen. Der Partner in progressiver Position wird dann alles daransetzen, den regressiven Partner in die Regression zurückzuzwingen, vor allem durch Erzeugung von Angst vor der Zukunft und Untergrabung jeglicher Ansätze zu Autonomie und Selbstwertgefühl. «Mach nur so weiter, probier doch mal, selbständig zu werden, du wirst schon noch sehen, was dabei herauskommt. Du musst nur nicht meinen, ich würde mich dann noch um dich kümmern, wenn du auf den Knien zu mir zurückkehren willst.» Der regressive Partner dagegen wird den anderen eher durch Erzeugung von Schuldgefühlen in der Kollusion festzuhalten versuchen: «Ich habe dir so vertraut, hab alles für dich aufgegeben, ich hab an dich geglaubt, aber ich sehe, ich habe dich überschätzt …» Bleibt der Partner innerlich fest und lässt sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher