Die Zweierbeziehung
Ehepartnern häufiger gleichartige psychische Störungen (das heißt gleichartige psychiatrische Diagnosen), als der Wahrscheinlichkeit entspricht.
Dass die Forschungsergebnisse bezüglich Homogamie oder Heterogamie so widersprüchlich sind, dürfte meiner Meinung nach an der unklaren und teilweise falschen Fragestellung liegen:
Untersuchungen über Gleichheit oder Gegensätzlichkeit Gleichheit oder Gegensätzlichkeit von Persönlichkeiten gehen von der Voraussetzung aus, dass sich zwei Individuen vollumfänglich in die Ehebeziehung eingeben und deshalb alle Persönlichkeitszüge auf Gleichheit oder Verschiedenheit untersucht werden müssten. Ich glaube aber, dass für Partnerwahl und Paarkonflikt nur ein Ausschnitt von Persönlichkeitsmerkmalen relevant ist und dass die Frage deshalb nur bezüglich dieser für die Beziehung relevanten Eigenschaften, Wünsche und Ängste geprüft werden sollte.
Gleichheits- und Gegensätzlichkeitshypothese müssen sich nicht ausschließen, weil es sich ja um polare Gegensätze bezüglich des Gleichen handeln kann. Die beiden Sprichworte lassen sich zu einem legieren: «Gegensätzlichkeiten vom Gleichen ziehen sich an.» Das in Betracht gezogene Kollusionsthema beschäftigt jeden der beiden Partner in seiner progressiven und regressiven Form, aber im partnerbezogenen Verhalten zeigt oft der eine Partner nur die progressive und der andere nur die regressive Seite der gleichen Thematik. Hilfsbereitschaft kann aus Hilfsbedürftigkeit herrühren, Unterwürfigkeit einer geheimen Machtausübung entsprechen oder auf die Spitze getriebene Weiblichkeit den Mann depotenzieren. Je nach Untersuchungsmethode können sich somit Gegensätze oder Gleichheiten im Verhältnis der Partner zueinander zeigen.
Ergibt sich die kollusive Ergänzung der Partner aus ihrer vorbestehenden Persönlichkeitsstruktur oder erst aus einem beidseitigen Anpassungsprozess? Unter den Forschern, die die Gleichheitshypothese vertreten, gibt es eine vieljährige Auseinandersetzung um die Frage, ob die Partner von vorneherein in psychologischer Hinsicht gleich sind (
assortative mating
, S LATER & W OODSIDE ) oder ob sie sich erst im Laufe der Ehe angleichen (
interaction theory
von K REITMAN und Mitarbeitern). K REITMAN fand in vielerlei Hinsicht, insbesondere bezüglich Psychopathologie, eine höhere Konvergenz mit zunehmender Dauer der Ehe. Die Arbeiten von Kreitman sind wertvoll, um statistisch zu belegen, wie stark in Ehen psychisch Gestörter der Angleichungsvorgang der Partner ist. Ich bin dem gleichen Problem bisher in unsystematischer Art mit dem Gemeinsamen Rorschach-Versuch nachgegangen. Dabei hat sich ergeben, dass die Probanden im gemeinsamen Versuch die Rorschach-Kleckse in erheblichem Maße anders deuten als im vorangegangenen Einzelversuch. Der gemeinsame Versuch ergibt somit auch ein anderes Persönlichkeitsbild. Zum Beispiel konnte ich in Familien Schizophrener oft beobachten, dass klinisch gesunde Angehörige im gemeinsamen Versuch stark schizophrenieverdächtige Deutungen äußerten, die sie im individuellen Versuch nicht erwähnt hatten. Diese Befunde führten mich dazu, von einer
Interaktionspersönlichkeit Interaktionspersönlichkeit
zu sprechen, nämlich von der auf einen konkreten Partner bezogenen «Persönlichkeit», die sich oft von der auf sich selbst gestellten Persönlichkeit (im individuellen Rorschach-Test) deutlich unterscheidet. Die Interaktionspersönlichkeiten der Partner stehen zueinander in Interdependenz.
Übersetzt auf die alltägliche Erfahrung, bedeutet das: Jeder erlebt und verhält sich als Persönlichkeit anders, je nachdem, mit welchem Partner er in Interaktion steht. So fühlt er sich zum Beispiel einem Partner A gegenüber überlegen und groß, einem Partner B gegenüber aber klein und minderwertig, mit Partner C wird er zum Wortführer und Geschichtenerzähler, mit Partner D dagegen fühlt er sich befangen und gehemmt, Partner E weckt in ihm das Bedürfnis zu helfen und zu trösten, bei Partner F fühlt er sich geborgen, vom Partner G erhält er Führungsfunktionen übertragen, Partner H unterzieht er sich willig, mit Partner I verhält er sich neurotisch, mit Partner K dagegen durchaus gesund.
Diese verschiedenartigen «Persönlichkeiten» stehen in Korrelation mit korrespondierenden Anpassungsvorgängen beim Partner.
Die Interaktionspersönlichkeit ist nicht notwendigerweise ein «falsches Selbst» (L AING ) oder eine «Persona» (C. G. J UNG ), sondern sie
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