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Die Zweierbeziehung

Die Zweierbeziehung

Titel: Die Zweierbeziehung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürg Willi
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Extremhaltungen lassen sich meist an den Reaktionen des Partners beurteilen. Nimmt dieser die Komplementärhaltung ein, gebärdet er sich als Teufel, Wüstling, Versager oder Egoist, so liegt die Vermutung nahe, dass Leidensbereitschaft, Toleranz und Helfertum in kollusiver Entsprechung zur polaren Gegenposition aufgebaut wurden und die Partner sich gegenseitig in dieser Fehlhaltung fixieren. «Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten» gilt dann sowohl interindividuell wie intraindividuell.
    Es kann nun aber auch sein, dass die Partner sich in ihrer Abwehrhaltung so eingerichtet haben, dass sich ihre gemeinsame Abwehr gerade in der Reaktionslosigkeit zeigt, mit der sie gewisse Einschränkungen und Fehlhaltungen hinnehmen. So akzeptiert ein Paar gleichmütig über Jahre totale sexuelle Abstinenz, oder ein Paar zeigt einen völlig unbegründeten Besserungsoptimismus, eine vorschnelle Versöhnungsbereitschaft oder rasche Verhaltensänderung in der Therapie, alles Manöver, um sich den Anforderungen der Therapie möglichst rasch zu entziehen.
    Oft legen Paare überzeugend dar, sie hätten über viele Jahre eine glückliche Ehe geführt, «bis dann …» ein scheinbar äußerliches Ereignis eintrat: die Geburt eines Kindes, ein Stellenwechsel, eine berufliche Beförderung des Mannes, eine neue Mitarbeiterin, ein Wohnungswechsel, der Wegzug eines Kindes, der Tod eines Elternteils usw. Dieses Ereignis erweist sich als geeignet, eine Thematik zu aktivieren, die latent schon zuvor einen Konfliktherd gebildet hatte, also zum Beispiel die Thematik «Liebe als Einssein», «Liebe als Einander-Umsorgen», «Liebe als Einander-ganz-Gehören» oder «Liebe als männliche Bestätigung». Das äußere Ereignis überfordert die bisher kompensiert gehaltene Abwehrstruktur des Paares und drängt es zur kollusiven Eskalation. In der Therapie müssen wir einerseits die alltäglichen Bagatellen, um die der Streit sich dreht, auf die tieferen persönlichen Motivationen hinterfragen, andererseits müssen wir die tieferen persönlichen Beziehungsschwierigkeiten in einen Bezug zur Realsituation bringen, in denen sie manifest werden.
    Nicht jeder Ehekonflikt ist eine Kollusion, aber jeder Ehekonflikt kann in den destruktiven und irrationalen Lösungsversuch entarten, den ich als Kollusion bezeichne.
    Unter Kollusion verstehe ich ein neurotisches Zusammenspiel und nicht jegliche Form von Zusammenspiel zweier Partner. Die Funktionsteilung innerhalb eines Paares, das Ergänzungsverhältnis und die Integration der Verhaltensweisen zu einem übergeordneten Ganzen sind ein normaler gruppendynamischer Vorgang und sind für die Partner eine Bereicherung und ein Gewinn.
Neurotisch wird dieses Zusammenspiel erst durch den Abwehrcharakter. Das Übernehmen oder Abtreten gewisser Funktionen resultiert nicht aus einem freien Spiel zwischen den Partnern, sondern wird durch irrationale Motive erzwungen, deren Wurzeln in unbewältigten frühkindlichen Traumatisationen und Konflikten liegen.
    Bei der Therapie einer Kollusion gehe ich von der Arbeitshypothese aus, dass der neurotische Beitrag und damit die «Schuld» am Ehezerwürfnis sich hälftig auf beide Partner verteilen. Gibt es nun auch
Ehekonflikte, die einseitig der neurotischen Beziehungsstörung nur des einen Partners zuzuschreiben sind?
Wenn der eine versucht, den Partner in ein neurotisches Zusammenspiel hineinzuziehen oder zu komplementär neurotischen Reaktionen zu provozieren, steht es dem Partner an sich frei, die Kollusion zu verweigern.
    So berichtet ein seit zehn Jahren verheirateter Analysand im Laufe der Behandlung über sadistische Phantasien seiner Frau gegenüber, die in ihm besonders während des Sexualverkehrs hochkommen und für seine sexuelle Erregung Voraussetzung sind. Er phantasiert jeweils, wie er die Frau zerschnetzle, ihr den Bauch aufschlitze, die Därme und Genitalien herausreiße usw. Er ist durch diese Phantasien tief beunruhigt, vor allem aus Angst, er könnte diese Phantasien in die Tat umsetzen. Unter großen Ängsten und nach langen inneren Kämpfen teilt er der Frau diese Phantasien mit. Sie hatte keine Ahnung davon. Zu seinem Erstaunen – und zu seiner Enttäuschung – nimmt die Frau sein Geständnis einfach hin, ohne ersichtliche emotionale Reaktion und ohne ihr Verhalten beim Sexualverkehr deswegen beeinflussen zu lassen. Es stellt sich also keine Kollusion her. Die sadistischen Phantasien bleiben klar das Problem des Mannes in der Beziehung zu seiner Frau und

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