Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
Ich war während der Zeit bei meiner Oma. Wenn sie abends auf meiner Bettkante saß und mir gute Nacht sagte, war ich oft nahe dran, ihr alles zu erzählen. Ich kämpfte in den zwei Wochen jeden Abend mit mir. Sollte ich es ihr erzählen? Was würde sie tun? Zu ihm laufen und ihn zur Rede stellen? Es Mama sagen? Vielleicht würde er mich und meine Mutter dann umbringen? Fragen über Fragen quälten mich. Dass er uns nicht so einfach umbringen konnte, war mir damals als Kind nicht klar. Also schwieg ich weiterhin und tat so, als wäre ich glücklich, was ich in den zwei Wochen im Gegensatz zu sonst auch war. Dennoch ein armseliges Glücklichsein. Am Ende wartete der Teufel. Als sie aus dem Urlaub zurückkamen, ließ er mich zunächst in Ruhe, arbeitete viel, und ich dachte schon, es sei vorbei. Ich fühlte mich immer sicherer. Doch eines Nachmittags hörte ich ihn vorfahren. Ich fing an zu zittern, denn ich konnte ihm nicht mehr ausweichen und wartete geduldig wie ein Opferlamm auf das, was unweigerlich kommen würde. Eva! , rief er schon, als er die Tür aufschloss. Ich drückte mich in meinem kleinen Zimmer an die Wand und verhielt mich ganz still. Seine Schritte auf der Treppe hämmerten mir bei jeder Stufe im Kopf. Als er die Tür meines Zimmers öffnete, war ich bereits erfroren. Er hatte seinen Fotoapparat schon in der Hand. Zieh dich aus, zeig deine süßen zarten Knospen, ich brauche Nachschub, mein Engelchen. Was er damit meinte, verstand ich damals nicht. Mittlerweile war ich neun Jahre, und meine Brüste begannen, sich zu formen. Meine Schamhaare waren ebenfalls unterwegs nach draußen. Ich zögerte mit dem Ausziehen, wusste aber, dass ich keine andere Wahl hatte. Wird’s bald, Engelchen , klang seine Stimme scharf. Ich begann, mich auszuziehen. Hoffte, er würde nur Fotos machen wollen, doch es kam so schlimm wie nie zuvor. Sonst hatte er immer nur seine Finger genommen. Nachdem er mich in einigen Posen aufgenommen hatte, kam es zum Äußersten. Als stieße jemand mit dem Messer in meinen Unterleib. Ich schrie wie am Spieß. Ja, brüll nur, es hört dich doch keiner, brüll nur, das macht mich an! , schrie er zurück. Obwohl es Winter war und keine Vögel im Garten waren, hörte ich ihr Zwitschern deutlich, und bald darauf flog ich davon. Ganz weit. Ich spürte mit einem Mal nichts mehr, keinen Schmerz mehr, schwebte da oben über uns und sah zu, was er machte. Von da an wurde es für mich erträglicher, denn ich hatte einen Weg gefunden, mich davon zu machen und nichts mehr zu fühlen. Entsetzlich waren immer nur die ersten Minuten, wenn sich mein Herz verkrampfte und mir die grauenhafte Angst vor den Schmerzen durch den Körper kroch wie eine sich windende Schlange. Entsetzlich, bis der Schmerz unerträglich wurde und zugleich in dem Augenblick befreiend. Von diesem Moment an folgte jedes Mal ein Schnitt. Nur noch mein Körper war bei ihm. Meine Seele rauschte davon.
Woher er das Geld für die Geschenke, die Kleider, den Ferienaufenthalt für mich in Bayern kam, erfuhr ich erst später. Er hatte die Bilder von mir verkauft an Männern, die auf kleine Kinder standen.
Ich hasse ihn für alles, was er mir angetan hat. Als sie diesen Satz geschrieben hatte, beschlich Eva ein sonderliches Gefühl. Es gab Dinge in ihrer Vergangenheit, auf die sie Dr. Heinzgen nicht mit der Nase stoßen wollte. Eva legte eine Schreibpause ein und dachte nach. Eigentlich war sie nahe daran, mit ihrem Bericht aufzuhören. Doch etwas in ihr führte ihre Hand automatisch weiter über das Papier ...
Später, als wir in Bonn wohnten, arbeitete meine Mutter abends in einer Insiderkneipe und war tagsüber zu Hause. In mir war längst kein Leben mehr. Ich empfand seinen Penis als Waffe. Meine stummen Schreie blieben ungehört. Ich hörte auf zu existieren. Das war durchaus mit dem Tod zu vergleichen. Eine Art Selbstverleugnung. Claudius fuhr jetzt keine Getränke mehr aus, sondern leitete einen Getränkemarkt. So hatte ich tagsüber meine Ruhe und, auch, wenn Mutter sich nicht viel um mich kümmerte, war ich doch froh, sie tagsüber in meiner Nähe zu wissen. Gegen sechs Uhr ging Mutter zur Arbeit und Claudius kam nach Hause. Wenn er auftauchte, fing ich an zu frieren. Oft roch es moderig in seiner Gegenwart und mir wurde übel. Gedanklich versuchte ich, mich schon auf und davon zu machen. Das gelang mir aber nicht. Ich brauchte wohl erst den Schmerz. Jetzt, hier in Bonn, war mindestens zwei Mal die Woche das Sofa die Stätte meines
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