Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
konnte ich es nicht mehr ertragen und habe mir die Pulsadern in der Badewanne aufgeschlitzt. Ich dämmerte in dem heißen Wasser vor mich hin, war der Grenze vom Leben zum Tod schon sehr nahe, als sich wie von Geisterhand fast leibhaftig die Gestalt meines Vaters ins Badezimmer schob. Ich erschrak dermaßen, dass ich laut aufschrie. Der Schrei holte mich zurück. Von Panik überfallen stieg ich aus der Wanne, wickelte Handtücher um meine Handgelenkte und rief meinen Hausarzt an. Ich wollte auf keinen Fall ins Krankenhaus und bemühte mich, dem Einschlafen meines Gehirnes durch lautes Aufzählen von Städten, Zahlen und sonstigem Irrwitz entgegenzuwirken. Ich schaffte es gerade noch, auf sein Klingeln hin die Tür zu öffnen, dann brach ich vor seinen Füßen zusammen und wachte erst wieder in einem weiß bezogenen Bett in einem kahlen Zimmer auf. Ich wusste sofort, wo ich war und fluchte vor mich hin. Ich dachte an meine Mutter in ihrer Zelle und daran, wie sie wohl mit der Nachricht von meinem Selbstmordversuch fertig werden würde in ihrer Situation. Ich hatte sie verraten, ich hätte stark sein müssen. Mich plagten schwere Selbstvorwürfe.
An ihrem Prozess konnte ich nicht teilnehmen, wollte es irgendwo auch nicht. Ich beruhigte mich, dass ich ihr einen guten Anwalt besorgt hatte, der die ganzen Ersparnisse auffraß. Ich selbst war in den Mühlen einer psychosomatischen Klinik gefangen, man zwang mir Therapiestunden auf, die ich innerlich vehement ablehnte. Nach meinem Suizidversuch spürte ich einen unbändigen Drang zum Leben. Ich wollte endlich nach vorne sehen, und mich nicht mehr mit meiner Vergangenheit auseinandersetzen, wozu mich diese Therapeuten ständig mit bohrenden Fragen zwangen. Ich hasste sie. Mit der Alternative, mir am Ort einen Therapeuten zu suchen, wurde ich schließlich nach vielen Wochen entlassen. Meine Mutter war wieder in Freiheit, das Urteil gnädig ausgefallen und zur Bewährung ausgesetzt. Sie war dabei, ihre Wohnung aufzulösen, wollte Bonn verlassen, aber in der Nähe bleiben. Irgendwie verhalten erzählte sie mir, dass sie besonders preiswert ein kleines Häuschen in Meckenheim mieten konnte, das den verstorbenen Eltern einer ehemaligen Arbeitskollegin gehört hatte.
Meine Mutter glich immer mehr einem seelischen Wrack. Sie arbeitete nicht mehr. Obwohl ich sie nie darauf ansprach, wusste ich, dass er ihr weiterhin Geld gab, damit sie den Mund hielt. Auf keinen Fall mit dem, was passiert war, zusammengebracht zu werden, musste ihm wohl einiges wert sein.
Meinen einundzwanzigsten Geburtstag feierte ich mit meiner Mutter in dem kleinen Häuschen in Meckenheim. Es erinnerte mich stark an das, welches wir damals in Walporzheim bewohnt hatten, wo meine Kindheit aufhörte und der langsame Tod meiner Seele begonnen hatte. Mir die Welt zu einem ewigen Albtraum gemacht wurde, der mich innerlich zerfraß und mich lehrte, mich selbst zu hassen. Mutter und ich verstanden uns wie nie zuvor. Es war eine Phase, in der mir immer mehr bewusst wurde, wie übel und ungerecht das Leben uns, aber vor allem mir, mitspielte. Mutter arbeitete ab und zu in einer Eisdiele in Meckenheim. Ich versuchte, den unbändigen Drang nach Leben wiederzufinden, der mich in der Klinik überfallen, aber bald darauf schon wieder verlassen hatte, nachdem ich mich dem Alltag wieder stellen musste. Mein Leben trottete dahin. Ich arbeitete, besuchte Mutter, schloss Männerbekanntschaften, die ich schnell wieder aufgab, und igelte mich täglich mehr ein. Ich wünschte mir damals so sehr eine Freundin, aber die Kolleginnen, die ich kennenlernte, hatten meist Familie und neben der Arbeit wenig Zeit und Interesse.
Meinen Vater hatte ich komplett aus meinem Bewusstsein gedrängt, aber unterschwellig kratzte er an der spärlichen Abdeckung, hinter der ich ihn verborgen hielt. Bis er nachts immer häufiger in meinen Träumen erschien. Tagsüber dachte ich daran, ihn aufzusuchen, ihn zu stellen, mit ihm zu reden, verwarf es wieder, überlegte erneut, mich Elke anzuvertrauen, die beiden einzuladen, alles zu erzählen und verwarf es wieder. Im Nachhinein kommt mir die Zeit vor wie in einem Kokon, den ich selbst um mich gesponnen hatte. Wie eine Zeit des sicheren selbst gesuchten Schutzes.
Mittlerweile war ich fünfundzwanzig, als mein Kokon erstmals zarte Risse bekam. In der Zeitung stieß ich auf die Heiratsanzeige von Elke Bischoff und Dr. med. Ronald Seitz, gespickt mit einem Foto der beiden, die mich aus einem Leben des
Weitere Kostenlose Bücher