Die zweite Frau des Arztes (Contoli-Heinzgen-Krimi)
mich zu vernachlässigen und meldete mich immer wieder krank. Länger als vier Tage am Stück zu arbeiten, schaffte ich einfach nicht. Schlimmer aber noch war, dass neuerdings kontinuierlich und verstärkt das verdrängte Bild meines Vaters überdimensional vor mir auftauchte. Täglich. Stündlich. Irgendwann ununterbrochen. Das lastete schwer auf meinem Gemüt.
Mein Hausarzt wies mich ein. Ich verbrachte wieder einmal Wochen in der Psychosomatischen. Meinen Job verlor ich natürlich, aber Mutter hatte mir ein wenig hinterlassen. So kam ich über die Runden, als ich wieder frei war. Dennoch wollte ich in einer kühnen Aktion meinen Vater aufsuchen. Genährt durch das im Augenblick überdimensional vorherrschende Vaterbild und aufgestachelt durch ein Foto in der Zeitung, das ihn lächelnd in seiner Funktion als Präsident des Lionclubs zeigte. Ich schaffte es sogar bis vor seine Haustür, sah mich schon klingeln. Sah, wie sich seine Augen weiteten, wenn ich sagte: Ich bin Eva, dein Kind und jetzt brauche ich Geld. Aber dann verschob sich das Bild. Mit einem Mal hatte ich vor Augen, wie er mich höhnisch lachend hinausbeförderte mit den Worten: Deine Mutter ist tot, jetzt kann sie nicht mehr reden und du musst erst mal beweisen, dass ich dein Vater bin. Scher dich fort. Bei den Gedanken bekam ich einen Knoten im Magen. Ich hielt die Spannung nicht aus und kehrte schweißnass und wütend über meine Feigheit gegenüber diesem Mann zurück. Das ich ihm einen Vaterschaftstest androhen könnte, darauf bin ich in dem Moment nicht gekommen, sonst hätte ich es vielleicht doch geschafft.
Mein Seelenleben hing total in Fetzen. Ich konnte nicht tiefer fallen. Erstmals, bisher hatte ich ja immer in Cafés gearbeitet, nahm ich den erstbesten Job in einer Kneipe an. Das Gute daran war, ich musste bis weit nach Mitternacht arbeiten. So hoffte ich, der nächtlichen Wolfsstunde zu entkommen, in der mich die bösen Träume heimsuchten. Und es tat sich noch ein Vorteil auf. Nachdem ich mich einigermaßen wieder hoch gerappelt hatte, nahmen Elke und Ronald wieder zusehends Besitz von meinen Gedanken. Tagsüber spionierte ich hinter ihnen her und abends ging ich verdrossen arbeiten. Das Kapitel Männer hatte ich ja schon längst abgeschlossen. Ich fand sie nur noch widerlich. Wenn sie sich an der Theke betranken, erschienen sie mir erbärmlich.
Mein Leben hieß nach und nach wieder Elke und Ronald. Vor allem Elke, meine Halbschwester, die reich beschenkt mit Liebe und Luxus im Leben dahin träumte. Die seit ihrer Geburt von einem Vater versorgt wurde, der auch meiner war, aber ich das Pech hatte, in der falschen Frau gewachsen zu sein.
Ich war drauf und dran, am glanzvollen Leben der beiden zu zerbrechen. Ihr Leben führte mir drastisch mein klägliches in einer spärlichen Wohnung vor Augen. Vor der Tür einen Fiat Uno, gestörtes Verhältnis zu Männern, am Rande der Gesellschaft und ohne Hoffnung auf Besserung. Am meisten aber kochte ich über meine Wut in mir. Wut auf alles. Bis der Gedanke warum sie und nicht ich? in mir schärfere Konturen annahm. Von da an vollzog sich mit mir eine Wandlung, als wäre plötzlich eine lange oberflächliche Bewusstlosigkeit von mir abgefallen. Zunächst erschien es mir wie eine Fantasie, die mich nur über Wasser hielt, aber nach und nach zeichneten sich klare Bilder vor meinem geistigen Auge ab. Wie ein Kind, das beharrlich immer wieder seinen Weihnachtswunsch wiederholt in der großen Hoffnung, dass er sich dann auch erfüllen würde, wiederholte ich die drei kleinen Sätze wie eine neue Lebensregel: Verenas Leben gehört mir! Jetzt bin ich dran! Tu was!
Ich fing bei mir an. Begann, mein Äußeres zu verändern. Meine blassblonden Haare bekamen eine frische Aufhellung. Ich kaufte keinen Billigfummel mehr, sondern wählte ausgesuchte Stücke in den feinen Läden, zu denen ich Elke gefolgt war, wenn ich ihr in meinem Wahn durch die ganze Stadt auf den Fersen war. Zuhause führte ich mit mir selbst gehobene Gespräche und übte mich in einer erlesenen Ausdrucksweise. Von dem Jargon meines Berufes nahm ich allmählich Abstand. Ja, was hatte ich nun konkret eigentlich vor? Ich wollte Verenas Leben an der Seite von Ronald. Aber darüber, wie ich das genau anstellen wollte, gab es noch keinen Plan. In meinem Schaukelstuhl eingehüllt in meiner blauen Decke, lustwandelte ich in den tollsten Fantasien. Ich entwickelte eine Einbildungskraft, die mich mein Leben an Ronalds Seite schon leben ließ.
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