Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
dessen jenseitiges Ufer von einer etwa mannshohen Felswand begrenzt wurde.
Hier, dachte Jerry und wusste, dass seine Suche zu Ende war. Ohne Eile und leise vor sich hin summend bahnte er sich durch Gras und Gestrüpp den Weg zur anderen Seite. Seitlich des Steilufers stieg er hangaufwärts und erklomm schließlich ein schmales Felsplateau, von dem aus er freien Blick über See und Ufer hatte. Der Platz lag im Schatten der Baumriesen, aber auf der Wasseroberfläche spiegelte sich ein Stück blauer Himmel und die Uferwiese leuchtete in hellem Sonnenlicht.
Irgendwo in der Nähe, erstarb der Klageschrei e ines Tieres. Jerry hörte ihn nicht. Er lauschte einer Melodie, die nur er allein hören konnte, und versuchte sie festzuhalten, ohne den Fluss der Töne in eine bestimmte Richtung zu drängen oder gar zu unterbrechen.
Endlich griff er in seine Tasche und holte einen röhrenförmigen Gegenstand hervor. Es war eine Cyflute, ein polyphones Blasinstrument, von dem auf den Kernwelten höchstens zwei Dutzend Exemplare existierten. Der Aufbau war ebenso kompliziert wie die Handhabung, die nur wenige Musiker beherrschten. Jerry gehörte dazu.
Er improvisierte ein wenig, um seine Finger zu üben, und spielte dann das neu komponierte Stück. Die Töne erhoben sich leicht wie Schmetterlinge und klangen weit über den See. Als das Stück mit einem harmonischen Dreiklang endete, blieb es s ekundenlang still, bis der Schrei eines Raubvogels den Bann brach und die Geräuschkulisse des Dschungels wieder auflebte.
Ein Rascheln in unmittelbarer Nähe ließ Jerry h erumfahren. Aber das Geschöpf, das mit einem weiten Satz zu ihm auf den Felsen gesprungen war, bedeutete keine Gefahr. Es weckte im Gegenteil Beschützerinstinkte, denn es war ein Mädchen, dünn und braungebrannt, mit langem dunklem Haar und grünen Katzenaugen, die ihn ohne Scheu musterten.
»Warst du das mit der Musik?«, fragte es neugi erig.
»Wer denn sonst? Ich bin Jerry, und wie heißt du?«
»Leona«, antwortete das dünne Mädchen. »Und ich kann weiter springen als du.«
»Das glaube ich gern.« Jerry lächelte. »Schlie ßlich bin ich Musiker und keine Springkatze wie du.«
»Ich bin keine Katze«, erklärte Leona beleidigt. »Wenn ich groß bin werde ich eine Jägerin wie Mama. Eigentlich darf ich gar nicht mit dir reden.«
»Warum nicht?«
»Eben darum«, erklärte das Mädchen kryptisch. »Spielst du mir etwas vor?«
Jerry beschloss, seinen Vorteil auszunutzen: »Nur, wenn du mir ein bißchen mehr von dir und den Leuten hier erzählst.«
Ein Schatten huschte über das Gesicht des Mä dchens.
»Erst spielen.«
»Versprochen?«
Leona nickte. Jerry setzte die Flöte an und spielte. Er wählte eines seiner populäreren Stücke, dessen klare, eingängige Melodie ein Lächeln auf das G esicht der Zuhörerin zauberte.
»Noch eins«, bat das Mädchen, als der letzte Ton verklungen war. Jerry schüttelte den Kopf: »Erst erzählen.«
Das Mädchen zog einen Flunsch, gab dann aber klein bei: »Aber du musst fragen.«
»Also gut. Leben viele Menschen hier?«
»Nein, nur die Leute am Fluss.«
»Was sind das für Leute?«
»Mama sagt, es sind Feiglinge und ich soll ihnen aus dem Weg gehen.«
»Vielleicht fürchtet sich deine Mama vor ihnen?«
Das Mädchen riss verblüfft die Augen auf und begann dann lauthals zu lachen. »Du hast wirklich keine Ahnung«, erklärte Leona schließlich, als sie wieder zu Atem gekommen war. »Mama hat vor niemandem Angst, höchstens vor dem Zaub...« Sie biss sich auf die Lippen und fuhr trotzig fort: »Das geht dich nichts an.«
Jerry wollte erst weiterfragen, entschied sich dann aber dagegen. Das Mädchen hatte ihm ohnehin schon mehr verraten, als es beabsichtigt hatte.
»Schon gut«, wiegelte er ab. »Trotzdem hast du mir noch nicht erzählt, was das für Leute sind und wo sie herkommen.«
»Ich weiß nur, dass die meisten schon länger da sind.«
»Kannst du mir zeigen, wo sie wohnen?«
»Klar«, erwiderte Leona. »Aber sie werden dich nicht reinlassen.« Als sie Jerrys verständnislosen Blick bemerkte, fügte sie noch hinzu: »Sie haben einen Zaun gebaut.« Dann wechselte sie plötzlich das Thema: »Du bist bestimmt mit dem neuen Schiff gekommen.«
Neuigkeiten scheinen sich hier schnell herumzusprechen , dachte Jerry und nickte.
»Warum bist du nicht bei den anderen?«
»Ich kann besser arbeiten, wenn ich allein und ungestört bin.«
»Dann weißt du also gar nicht, wo deine Leute jetzt sind?«
»Es sind
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