Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)
nicht sofort bemerkt ...« Der Hüne zögerte, als seien ihm selbst Zweifel am Sinn seines Vortrages gekommen, entschloss sich dann aber doch fortzufahren: »Er gelangte an einen Ort, der nicht für die Bewohner des Archipels zugelassen ist, und erlitt offenbar auf Grund seiner Wahrnehmungen dort einen Schock. Nach Auskunft des Medcenters sind jedoch keine dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten.«
Der letzte Satz löste allgemeine Erleichterung aus, ansonsten blieben die Worte des Fremden jedoch rätselhaft und ließen erst recht keine Rückschlüsse auf das verbotene Land selbst zu. War es die Heimat der Metallmenschen? Oder waren sie nur dienstbare Geschöpfe, die Befehle ausführten?
Die Antworten lagen nach wie vor im Nebel. Dennoch hatte Morietti das Gefühl, dass die Erei gnisse irgendwie mit jenem Früher zusammenhingen, für das sich sonst nur Sonderlinge wie der alte Bariello interessierten. Die Begriffe, die der Metallmensch für seine Erklärungen benutzt hatte, hatten jedenfalls wie jene alten Wörter geklungen , die der Stadtschreiber sammelte und aufschrieb. Mochten sie auch vor langer Zeit in Vergessenheit geraten sein, so sprach inzwischen doch einiges dafür, dass die Dinge, die sie bezeichneten, nach wie vor existierten ...
Ein Zischen, wie von heftig ausgestoßener Luft, riss den Wirt aus seinen Überlegungen. Es ging zweife llos von dem Metallgeschöpf aus, auch wenn die unmittelbare Quelle des Geräusches nicht erkennbar war.
»Friede sei mit euch!«, dröhnte die Stimme noch einmal, als sich der Fremde mit einer angedeuteten Abschiedsgeste zum Gehen wandte. Aber wie wollte er dorthin zurückkehren – ohne Boot?
Anstelle einer Antwort verstärkte sich das Z ischen, sodass die Umstehenden erschrocken zurückwichen. Einzig Alice, die junge Frau, harrte an der Seite ihres Mannes aus, dessen Kopf in ihren Armen ruhte. Die aufgewirbelte Luft zauste ihr Haar und zerrte an den Kleidern, aber sie schien es nicht einmal zu bemerken.
Dann geschah etwas, das nicht nur den braven Wirt an seinen Sinnen zweifeln ließ: Die massige Gestalt des Metallmenschen erhob sich plötzlich in die Luft, schwebte wie an unsichtbaren Fäden hä ngend seewärts, bevor sie Fahrt aufnahm und sich – immer noch einen Fußbreit über der Wasseroberfläche – mit zunehmender Geschwindigkeit entfernte. Dabei sah es nicht einen Augenblick so aus, als ob der Fremde tatsächlich übers Wasser laufen würde, denn er stand völlig reglos da wie ein Passagier an Bord eines unsichtbaren Bootes. Nur dass es eben kein Boot gab, sondern allenfalls ein leichtes Kräuseln auf der Wasserfläche, das sich alsbald wieder verlor. Die Gestalt des Fremden wurde rasch kleiner, bis sie schließlich nur noch ein irrlichterndes Funkeln war, das wenig später mit der silbernen Oberfläche des Sees verschmolz.
Die Menge stand wie vom Donner gerührt, und auch Morietti rieb sich ungläubig die Augen, bevor er sich zur Sicherheit gleich mehrfach bekreuzigte und die Heilige Mutter um ihren Beistand bat. Nur zu gern hätte der gottesfürchtige Wirt das Gesehene als eine Fata Morgana, eine Scharade seiner übe rreizten Nerven, abgetan, aber dagegen sprachen die verstörten Blicke seiner Nachbarn.
Cesare Morietti glaubte durchaus an Wunder – die heiligen Bücher waren voll davon –, aber das hier war etwas anderes. Was bislang ein Mythos gewesen war, mit dem man sich besser nicht beschäftigte, war plötzlich Teil ihrer Wirklichkeit geworden und ließ sich deshalb nicht länger ignorieren. Vielleicht hatten sie die Dinge zu lange auf sich beruhen lassen, ohne die Regeln zu hinterfragen, die seit Jahr und Tag ihr Leben bestimmten. Ihr Ursprung lag im Verborgenen wie die Küste des verbotenen Landes, aber das musste nicht so bleiben. Er würde mit Bariello sprechen müssen und natürlich auch mit dem jungen Hitzkopf, sobald der sich erholt hatte.
Nachdenklich beobachte der Wirt, wie die Männer der Sciutto-Familie den Bewusstlosen auf eine Trage betteten und sich mit ihrer Last auf den Heimweg machten. Die beiden Frauen folgten den Trägern mit gesenkten Köpfen, doch als sie vorbeigingen, glau bte Morietti den Anflug eines Lächelns auf dem Gesicht der Jüngeren zu sehen. Und so ging auch er, Cesare Morietti, an diesem denkwürdigen Tag seltsam getröstet zurück nach Hause.
Die Gesichter der Patres, die sich zwei Standardtage nach diesen Ereignissen zu einer außerplanmäßigen Beratung zusammengefunden hatten, waren
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