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Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition)

Titel: Die zweite Invasion - Legenden der Zukunft (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank W. Haubold
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Nickerchen, aber daran war heute nicht zu denken. Etwas lag in der Luft, etwas, das nicht nur die Familie Sciutto, sondern die ganze Stadt betraf.
    Ein Schrei vom See herließ ihn auffahren. Er klang wie ein Klageruf eines Kindes, aber sein vie lstimmiges Echo verriet die wahren Urheber: Möwen. Obwohl die Vögel wild durcheinander kreischten, wusste Morietti sofort, was ihr langgezogenes ristaa – ristaa! bedeutete: Er ist da!
    Mario Sciutto kehrte heim.
    Schnell band der Wirt seine Schürze ab, zog sich ungeachtet der brütenden Hitze eine Jacke über und machte sich auf den Weg. Aus den Augenwinkeln sah er, dass die beiden Frauen ihr Gebet unterbrochen hatten und sich – den Blick wie Traumwandlerinnen in die Ferne gerichtet – ebenfalls in Bewegung setzten. Vermutlich nahmen sie nichts von dem wahr, was um sie herum geschah, dennoch beschleunigte Morietti seinen Schritt und drehte sich auch nicht um, als er vor ihnen in die Via Negra einbog.
    Der Wirt war nicht der einzige, den der Ruf der Möwen erreicht hatte. Von überallher, aus Seite ngassen und Hauseingängen traten Menschen auf die Straße, sahen sich verstohlen um und liefen dann, ohne den Blick noch einmal zu heben oder gar jemanden anzusprechen, hinunter zur Hafenpromenade.
    Morietti tat es ihnen gleich, weniger aus Verl egenheit als vielmehr in der Ahnung, dass Tag und Stunde keine Ablenkung duldeten. So marschierte er schweigend inmitten der anderen, von denen er nichts weiter wahrnahm als das Geräusch Dutzender Absätze auf dem Straßenpflaster.
    Die Menge verhielt sich auffallend diszipliniert. Obwohl der Kai bereits dicht mit Wartenden – Schaulustige wäre die falsche Bezeichnung gewesen – besetzt war, gab es keinerlei Gedränge. So fand auch Morietti fast mühelos einen Platz mit freiem Blick zum See, der es ihm dennoch gestattete, Distanz zu den Umstehenden zu wahren. Als wenig später die beiden dunkel gekleideten Frauen eintrafen, bildete sich vor ihnen eine Gasse, die ihnen den Weg zur Anlegestelle von Sciuttos Boot frei machte.
    Kaum hatten sie die Kaimauer erreicht, ve rstummte das Kreischen der Möwen, die hoch über dem Hafenbecken ihre Kreise zogen.
    Jetzt! , dachte Cesare Morietti, während sein Blick den fahlweißen Nebelstreifen fixierte, der See und Himmel trennte. Und dann sah er etwas, einen winzigen dunklen Punkt, der mit quälender Langsamkeit an Substanz gewann, bis endlich kein Zweifel mehr möglich war.
    Ein Boot.
    Noch war es kaum größer als eine Nussschale, aber wer scharfe Augen besaß, konnte bereits den Mast sehen, an dem sich jedoch kein Segel blähte. Wer oder was auch immer das Boot vorwärts bewegte, Wind war es gewiss nicht. Dennoch näherte es sich rasch dem Hafenbecken, begleitet von einem seltsamen Geräusch, das dem Summen eines Insektes ähnelte.
    Ein Motor , dachte Morietti und wunderte sich, weshalb ihm dieser Begriff gerade jetzt einfiel. Vermutlich handelte es sich dabei um eines der alten Wörter, die Dinge beschrieben, die längst nicht mehr existierten. Vielleicht hatte er das Wort von Dottore Bariello gehört, einem seiner Stammgäste, der solche Wörter sammelte und aufschrieb. Aber der alte Stadtschreiber war ohnehin ein seltsamer Kauz ...
    Inzwischen hatte sich der Kutter so weit genähert, dass weitere Einzelheiten sichtbar wurden. Zweife llos handelte es sich um das vermisste Boot, aber die hochgewachsene Gestalt, die im Heck am Steuer stand, war nicht Mario Sciutto. Es war auch niemand anderes aus der Stadt, denn sie trug eine silberne Rüstung wie die Männer der Schauspieltruppe, die einmal im Jahr die Stadt besuchte und Träume und gebrochene Herzen zurückließ. Aber was machte ein Schauspieler in Sciuttos Boot, und wo war der junge Mann selbst?
    Der Fremde am Steuer hielt den Kopf gesenkt, was für einen Bootsführer ein wenig seltsam anm utete. Offenbar galt seine Aufmerksamkeit etwas, das sich im Inneren des Kutters zu seinen Füßen befand. Und nicht nur Morietti, der Wirt, ahnte, was oder vielmehr wer das sein würde.
    Ein Schrei durchbrach die allgemeine Erstarrung, gefolgt von einem vielstimmigen Raunen, das B edauern ausdrückte, aber auch eine Spur Missbilligung. Wo war sie gewesen in jener Nacht, Alice, Marios junge Frau? Hätte sie den Jungen nicht abhalten können von dieser Narretei ...?
    Die jüngere der beiden schwarz gekleideten Fra uen war auf die Knie gesunken und raufte sich das Haar. Sie schrie jetzt nicht mehr, aber ihr Schluchzen zerrte an den Nerven. Donna

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