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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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wir schossen fünfzig Stockwerke hinauf. Dann marschierten wir an einer Sekretärin vorbei und wurden noch höher hinaufbefördert.
    Unsere Zimmer waren hübsch: die Teppiche in kühlem Grün, die Wände holzgetäfelt. Es gab eine umfangreiche Bibliothek, zum Großteil klassische Werke von der Erde, in Synthaleder gebunden, dazu ein paar Romane von Baldur, unserer Heimatwelt. Offenbar hatte sich irgendjemand nach unserem Geschmack erkundigt. Eine der Schlafzimmerwände bestand ganz aus getöntem Glas, ermöglichte uns eine Panoramaaussicht über die ganze Stadt tief unter uns; mit einer Fernbedienung konnte man es verdunkeln, wenn man schlafen wollte.
    Gourlay zeigte uns alles dienstbeflissen, wie ein etwas mürrischer Hotelpage. Ich las ihn kurz, konnte jedoch keine Verärgerung entdecken. Er war nervös, aber nur ein bißchen. Da war ehrliche Zuneigung zu jemandem. Zu uns? Valcarenghi?
    Lya setzte sich auf eines der Einzelbetten. „Bringt irgendjemand unser Gepäck?“ fragte sie.
    Gourlay nickte. „Sie brauchen sich nicht darum kümmern“, sagte er. „Sollten Sie etwas benötigen, dann sagen Sie es.“
    „Keine Sorge, das werden wir“, sagte ich. Ich ließ mich auf dem zweiten Bett nieder und bot Gourlay einen Stuhl an. „Wie lange sind Sie schon hier?“
    „Sechs Jahre“, erwiderte er, ließ sich dankbar auf den Stuhl fallen und streckte alle viere von sich. „Ich bin einer von den Veteranen. Ich hab’ bis jetzt unter vier Administratoren gearbeitet. Dino, und vor ihm Stuart, und vor ihm Gustaffson. Ich habe sogar unter Rockwood ein paar Monate mitgemacht.“
    Lya setzte sich im Schneidersitz auf und beugte sich vor. „Länger hat Rockwood ja auch nicht ausgehalten, oder?“
    „Stimmt“, sagte Gourlay. „Er hat den Planeten nicht gemocht, nahm sogar die Degradierung zum Vizeadministrator in Kauf, um woanders hinzukommen. Ich hab’s nicht sonderlich bedauert, um die Wahrheit zu sagen. Er war einer von diesen nervösen Typen, die andauernd mit Befehlen um sich werfen, um klarzumachen, wer der Boß ist.“
    „Und Valcarenghi?“ fragte ich.
    Gourlay übertünchte sein begeistertes Lächeln mit einem Gähnen.
    „Dino? Dino ist in Ordnung, der Beste von allen. Er ist gut, und er weiß, daß er gut ist. Er ist erst seit zwei Monaten hier, aber er hat eine Menge getan und sich einen Haufen Freunde gemacht. Er behandelt seinen Stab wie Menschen, redet jeden mit Vornamen an, all die Dinge. Die Leute mögen das.“
    Ich las, und ich las Aufrichtigkeit. Also war es Valcarenghi, dem Gourlays Zuneigung galt. Er meinte, was er sagte.
    Ich hatte noch mehr Fragen, aber ich kam nicht dazu, sie zu stellen. Gourlay stand abrupt auf. „Ich sollte nicht hier herumsitzen“, sagte er. „Sie wollen sich ausruhen, nicht wahr? Kommen Sie in etwa zwei Stunden in die Spitze hinauf, dann können wir alles mit Ihnen besprechen. Sie finden die Liftröhre?“
    Wir nickten, und Gourlay ging. Ich drehte mich zu Lyanna um. „Was denkst du?“
    Sie legte sich auf das Bett zurück und studierte die Decke. „Ich weiß nicht“, sagte sie. „Ich habe nicht gelesen. Ich frage mich, warum sie so viele Administratoren gehabt haben. Und warum sie uns haben wollten.“
    „Wir sind Talentierte “, sagte ich und lächelte. Mit staatlichem Abschluß, ja. Lyanna und ich sind getestete und registrierte Psi-Talente, und wir haben die Lizenzen, die das bestätigen. Sie machte: „Mhmm“, drehte sich auf die Seite und lächelte zu mir herüber. Dieses Mal nicht ihr Vampir-Halblächeln. Sondern ihr aufreizendes Kleines-Mädchen-Lächeln.
    „Valcarenghi meinte, wir sollten uns ausruhen“, sagte ich. „Möglicherweise keine schlechte Idee.“
    Lya war mit einem Satz aus dem Bett. „Durchaus nicht“, sagte sie. „aber diese Einzelbetten sind frustrierend.“
    „Wir könnten sie zusammenschieben.“
    Sie lächelte wieder. Wir schoben sie zusammen.
    Und wir haben uns ein bißchen ausgeruht. Später.
    Als wir aufwachten, stand unser Gepäck vor der Tür. Wir zogen uns frische Kleider an, altmodische, gewöhnliche Klamotten; wir verließen uns auf Valcarenghis notorisch formlose Hofhaltung. Die Liftröhre katapultierte uns zur Turmspitze hinauf.
    Das Büro des Planetaren Administrators war schwerlich als Büro zu bezeichnen. Es gab keinen Schreibtisch, nichts von dem üblichen amtlichen Kram. Dafür aber eine Bar und üppige blaue Teppiche, die uns bis in Knöchelhöhe verschluckten, und sechs oder sieben im Raum verstreute Clubsessel.

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