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Die zweite Stufe der Einsamkeit

Die zweite Stufe der Einsamkeit

Titel: Die zweite Stufe der Einsamkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George R. R. Martin
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sorgte für interessante Kombinationen. Valcarenghi bestellte für uns alle, und nach und nach kosteten wir vielleicht ein Dutzend verschiedener Gerichte. Mir schmeckte ein winziger Shkea-Wildvogel am besten, der in Soustangsouce gedünstet worden war. Er gab zwar nicht viel her, aber das wenige, das schmeckte großartig. Während der Mahlzeit leerten wir auch drei Flaschen Wein: wieder diese Shkeen-Sorte, die wir bereits im Laufe des Nachmittags kennengelernt hatten, eine Karaffe gutgekühlten Veltaar von Baldur und einen echten Burgunder von Alt-Erde.
    Eine Unterhaltung kam schnell in Gang; Valcarenghi war der geborene Geschichtenerzähler und ein ebensoguter Zuhörer. Irgendwann driftete die Unterhaltung natürlich ab – zu Shkea und den Shkeen. Laurie kam darauf zu sprechen. Sie war seit rund sechs Monaten auf Shkea und sammelte Material für ihre Diplomarbeit in Exo-Anthropologie. Sie versuchte zu erforschen, weshalb die Zivilisation der Shkeen seit so vielen Jahrtausenden stagnierte.
    „Sie sind sehr viel älter als wir, wissen Sie“, erzählte sie uns. „Sie hatten schon Städte, bevor die Menschen Werkzeuge gebrauchten. Eigentlich hätten es raumfahrende Shkeen sein müssen, die auf eine primitive Menschheit stoßen, nicht umgekehrt.“
    „Gibt es darüber nicht schon allerlei Theorien?“ fragte ich.
    „Ja, aber keine von ihnen wird allumfassend akzeptiert“, sagte sie. „Cullen erwähnt zum Beispiel den Mangel an Schwermetallen. Eine Tatsache, aber ist das die ganze Antwort? Von Hamrin behauptet, die Shkeen hätten nicht genügend Konkurrenz gehabt. Keine großen Raubtierarten auf dem ganzen Planeten, deshalb gab es keinen Grund, innerhalb der Rasse Aggressivität zu entwickeln. Aber dafür hat er eine Menge Zunder bekommen. Ganz so idyllisch ist Shkea auch wieder nicht, andernfalls hätten die Shkeen niemals ihren momentanen Stand erreicht. Außerdem – was sind die Greeshka, wenn keine Raubtiere? Sie fressen sie, oder etwa nicht?“
    „Und was ist Ihre Ansicht?“ fragte Lya.
    „Ich denke, es hat etwas mit ihrer Religion zu tun, aber ich sehe da noch nicht ganz klar. Dino hilft mir, mit den Leuten zu reden, und die Shkeen sind offen genug, aber es ist trotzdem nicht leicht, zu Ergebnissen zu kommen.“ Sie unterbrach sich plötzlich, und warf Lya einen forschenden Blick zu. „Für mich jedenfalls. Ich stelle mir vor, für Sie wäre es leichter.“
    Das hatten wir schon öfter gehört. Die Normalen sind oft der Meinung, daß die Talente ziemlich unfaire Vorteile haben; es ist nur zu verständlich. Wir haben wirklich gewisse Vorteile. Aber Laurie war nicht eifersüchtig. Sie traf ihre Feststellung in einem sehnsüchtigen, nachdenklichen Tonfall, nicht mit ätzender Bitterkeit.
    Valcarenghi lehnte sich zu ihr hinüber und legte einen Arm um sie. „Hey“, sagte er. „Genug vom Geschäft geredet. Robb und Lya sollen sich nicht bis morgen mit den Shkeen herumquälen müssen.“
    Laurie sah ihn an, und lächelte zaghaft. „Okay“, sagte sie leichthin. „Es ist mit mir durchgegangen. Tut mir leid.“
    „Das ist schon in Ordnung“, beruhigte ich sie. „Es ist ein interessantes Thema. Geben Sie uns einen Tag, und wir werden höchstwahrscheinlich genauso begeistert sein.“
    Lya nickte ihre Zustimmung und fügte hinzu, daß Laurie es als erste erfahren würde, wenn sich bei unserer Arbeit irgend etwas für ihre Theorie Interessantes ergab. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu. Ich weiß, es ist unhöflich, Normale zu lesen, wenn man mit ihnen ausgegangen ist, aber da gibt es Zeiten, in denen ich einfach nicht widerstehen kann. Valcarenghi hatte den Arm um Laurie gelegt und zog sie sanft zu sich heran. Ich war neugierig.
    Deshalb wagte ich einen schnellen Blick – kurz, und mit schlechtem Gewissen. Er war bester Laune – ein klein wenig betrunken, denke ich, und voller Zuversicht und Beschützerinstinkt. Der Herr der Lage. Aber Laurie war ein Durcheinander – unsicher, unterdrückter Ärger, eine vage, verschwommene Andeutung von Angst. Und Liebe, verwirrt, aber sehr stark. Ich bezweifelte, daß sie Lya oder mir galt. Sie liebte Valcarenghi.
    Ich tastete unter dem Tisch herum, suchte Lyas Hand und fand ihr Knie. Ich drückte es leicht, und sie sah mich an und lächelte. Sie las nicht, und das war gut. Es störte mich, daß Laurie Valcarenghi liebte, obwohl ich nicht wußte, warum, und ich war ziemlich froh, daß Lya meine Unzufriedenheit nicht bemerkte.
    Bald hatten wir auch die letzte Weinflasche

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