Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
herausfinden, auch wenn sie damit riskierte, dass Victorias Welt zusammenstürzte. Doch vorher musste sie wissen, was mit Rahul los war.
59
Sobald sie auf dem Rücksitz des Wagens Platz genommen hatte, sah sich Jill Rahuls Ergebnisse an. Ein Blick auf das Blutbild bestätigte ihre Befürchtungen. Seine weißen Blutkörperchen waren bakteriell stark befallen, zudem war ihre Anzahl zu hoch. Er hatte 18 000, der Normwert für sein Alter lag zwischen 5000 und 15 000. Warum er zu viele hatte, zeigte der Blutausstrich. Rahul hatte zwar keinen Krebs oder Leukämie, aber er litt an einer Immunschwäche, die Grund dafür war, dass er Krankheitserregern nicht mehr viel entgegenzusetzen hatte. Deshalb die häufigen Ohrenentzündungen, deshalb auch seine Lungenentzündung.
»O nein.« Jill seufzte. Rahuls Neutrophile wanderten bereits nach links. Das bedeutete, dass sie das Knochenmark schon verließen, bevor sie als Zellen überhaupt voll entwickelt waren. Jill machte sich um den Kleinen große Sorgen. Sofort schaltete sie auf Notfallmodus um. Ihr Plan war, Rahul sofort ins Krankenhaus zu überweisen, wo man ihn offensiv mit Antibiotika behandeln konnte. Würde man das unterlassen, bestand die Gefahr, dass die Ohrenentzündung sich über die Blutbahn ausbreiten und einen septischen Schock verursachen würde.
»Was ist los?« Victoria sah sie an.
»Einer meiner Patienten ist sehr krank.« Jills und Donators Blick, der den Wagen fuhr, trafen sich im Rückspiegel. »Ich muss sofort meine Praxis anrufen. Anschließend kön nen wir reden.«
»Machen Sie nur.« Der FBI -Agent nickte. »Ich wollte sowieso erst mit der Befragung beginnen, wenn das ganze Team dabei ist.«
»Gut. Danke.« Jill wählte Padmas Handynummer, die Donna ihr geschickt hatte. Es läutete und läutete, dann sprang die Mailbox an. »Padma, hier spricht Doktor Farrow. Es geht um Rahuls Blutbild. Bitte rufen Sie mich sofort zurück.« Sie hinterließ ihre Handynummer, dann rief sie in der Praxis an.
»Pembey Ärztezentrum.« Sheryl war am Apparat.
»Ich bin’s, Jill. Ich kann Padma auf ihrem Handy nicht erreichen. Ich brauche die Notfallnummern, die sie angegeben hat, als sie das erste Mal bei uns war. Ihr Mann ist in Afghanistan.«
»Ich weiß, warum sie Ihr Gespräch nicht annimmt. Sie hat sich heute einen neuen Arzt gesucht. Wollen Sie sich mit so einem Verhalten etwa einen soliden Patientenstamm aufbauen?«
Jill biss sich auf die Zunge. »Ich brauche jetzt dringend Padmas …«
»Ich habe gehört, dass Sie einen Verkehrsunfall hatten. Trotzdem muss ich Ihr Gehalt kürzen, wenn Sie morgen nicht erscheinen.«
»Sheryl, geben Sie mir jetzt bitte Padmas Notfallnummern.« Jill versuchte ruhig zu bleiben. Sie sah aus dem Fenster. Der Verkehr stockte. Sie waren in der Nähe des Flughafens Newark. Ein paar Flugzeuge hingen am Himmel, als hätte man sie an einem unsichtbaren Faden aufgefädelt. Ihre Flügel blinkten in der Sonne.
»Padma ist zu Doktor Bensons Gemeinschaftspraxis ge wechselt. Sie hat gebeten, alle Untersuchungsergebnisse dorthin zu schicken.«
»Mir fehlt die Zeit, um mich mit Ihnen darüber zu unterhalten. Das ist ein Notfall. Die Nummern. Sofort.«
»Sie wagen es, so mit mir zu sprechen?«
Jill hielt die Unterhaltung keine Sekunde länger aus. Sie wurde laut: »Geben Sie mir jetzt die Nummern, und Sie werden meine Stimme nie mehr hören müssen. Das verspreche ich Ihnen.«
»Aber Sie müssen mit mir reden. Sie arbeiten bei uns.«
»Jetzt nicht mehr. Ich kündige. Auf der Stelle. Aber geben Sie mir die Nummern.«
»Na gut. Aber auch Sie müssen eine Frist von zwei Wochen einhalten, sonst …«
»Jetzt rücken Sie die Nummern raus!«, brüllte Jill ins Telefon. Victoria zuckte erschrocken zusammen, Special Agent Donators Augen wurden immer größer.
»Okay, okay. Ich maile Ihnen in dieser Minute die Nummern. Ich habe eine Privat- und eine Büronummer von ihr, außerdem die ihres Schwiegervaters in Seattle. Sein Name ist Frank McCann. Ob er Padma allerdings noch erreichen kann, weiß ich nicht. Sie hat gesagt, dass sie mit den Kindern nach Mumbai fliegen will. Ihre Mutter hatte einen Herzinfarkt.«
»Mumbai in Indien?«
»Nein, Mumbai in Ohio. Natürlich in Indien.«
»Aber sie darf nicht nach Mumbai fliegen. Der Flug dauert vierundzwanzig Stunden, und Rahuls Immunsystem ist viel zu schwach dafür. Das übersteht er nicht.«
»Wirklich?« Sheryls Stimme klang mit einem Mal besorgt.
»Das Problem sind nicht die Schmerzen, sondern
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