Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
flüsterte er. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihren Wangen, sein Gesicht war nur einen Zentimeter von dem ihren entfernt. Er war dabei, sie zu töten, und er fand Spaß daran. Das war unübersehbar.
Sie schloss die Augen, lauschte ihren jämmerlichen Versuchen, Atem zu holen.
Dann hörte sie nichts mehr. Das letzte Geräusch, das sie auf dieser Welt vernehmen würde, war ihre eigene Stille.
64
Ein Hieb, dann ein dumpfer Aufprall, dann der Schmerzensschrei eines Mannes.
Jill rang nach Luft, ihr Brustkorb hob und senkte sich wieder, ihr Organismus hatte sich nicht aufgegeben, ihr Körper wollte weiterleben.
Victoria stand mit einem Kantholz in der Hand vor ihr, Donator hatte von ihr abgelassen.
Jill keuchte, wollte wie ihr Körper weiterleben. Sie rollte zur Seite und hustete.
Donator lag neben ihr. Seine Augen starrten ausdruckslos zu den Dachsparren. Er war tot. Sein Mund stand offen. Blut rann an seinen Schläfen hinab und sammelte sich auf dem Betonboden.
»Jill? Jill?« Victoria ließ das Kantholz fallen.
Jill spürte, wie ihr Körper sich wieder mit Leben füllte. Sie hörte ihr Herz schlagen, spürte, wie sich ihre Lunge mit Sauerstoff füllte. Ihr Hals tat so weh, dass sie keinen Laut herausbekam, als sie zu sprechen versuchte.
Victoria beugte sich über sie, umarmte sie und drückte sie an sich. Jill sah zu ihr hoch. In ihren Augen entdeckte sie eine neue Zärtlichkeit.
»Bist du okay?«, fragte Victoria und lächelte und weinte gleichzeitig. »Bist du verletzt?«
Jill schüttelte den Kopf, brachte es aber fertig, das Lächeln zu erwidern. Sie konnte nicht sprechen, aber ihr Herz wusste, was sie dachte.
Ich bin schon vor langer Zeit verletzt worden. Seitdem ich dich das letzte Mal gesehen habe, hat es wehgetan, aber jetzt geht es mir gut.
65
Was als Nächstes geschah, bekam Jill nur vage mit. Immer wieder verlor sie das Bewusstsein. Die Schmerzen kamen und gingen, ein ständiger Wechsel. Polizei und Krankenwagen tauchten auf, schließlich legte man sie auf eine Bahre, und ein Sanitäter beugte sich besorgt über sie. Man hängte sie an einen Tropf und schloss sie an mehrere Monitore an. Irgendwann während der Fahrt räusperte sie sich, um trotz schmerzendem Hals das zu sagen, was ihr auf dem Herzen lag.
»Kann jemand nachfragen, wie es Rahul geht?«
»Das ist nicht der Moment, um sich um Ihre Patienten zu kümmern«, sagte der Sanitäter, dann trugen sie sie auch schon aus dem Krankenwagen in die Notaufnahme, wo bereits die Krankenschwestern auf sie warteten.
»Rufen Sie irgendjemanden an, der mehr weiß. Bitte, ich muss wissen, wie es Rahul geht«, sagte sie immer wieder. Doch niemand hörte auf sie.
66
Jill saß neu bandagiert und medizinisch versorgt in einem Krankenhausbett. Endlich war sie wieder sicher. Zwei FBI -Agenten, die sich auch als solche ausweisen konnten, leisteten ihr Gesellschaft: Special Agent Anthony Harrison und Special Agent Gordon Kavicka. Ihre Schusswunde in der Schulter war zum Glück nicht sehr tief und bereits genäht worden. Sie hatte ein paar Schmerzmittel bekommen und war jetzt bereit, den FBI -Agenten ihre Fragen zu beantworten. Die beiden Männer mit kurz geschorenen Haaren saßen an ihrem Bettende auf zwei Stühlen und trugen dunkle Anzüge mit gestreiften Krawatten. Victoria saß in ihrem zerrissenen Jackett auf Jills Bett. Ihre Schnittwunde an der Wange hatte man mit einem Klammerpflaster versorgt.
»Kann irgendwer mir sagen, was passiert ist?«, fragte Jill. Ihr Hals schmerzte. »Wer war Donator? Und wer Cohz? Und hat jemand in der Praxis wegen Rahul Choudhury angerufen?«
Auch Victoria wollte Antworten: »Ist mein Vater nun wirklich ermordet worden? Und was hat Brian mit der ganzen Sache zu tun? Arbeitet er wirklich undercover für das FBI , oder haben die beiden uns angelogen?«
»Einen Moment. Eine Frage nach der anderen.« Special Agent Harrison hob die Hand und machte ein ernstes Gesicht. Er war ein großer schlanker Mann mit kleinen brau nen Augen, tief eingegrabenen Krähenfüßen und einem markanten Kinn mit einem Grübchen. »Doktor Farrow, wir haben in Ihrer Praxis angerufen. Sobald der Rückruf kommt, sagen wir Ihnen Bescheid. Was die anderen Fragen betrifft, so werden wir Ihnen nur die notwendigsten beantworten.«
»Aber wir müssen doch alles erfahren. Schließlich sind wir beinahe ermordet worden«, sagte Jill.
»Lassen Sie uns zuerst unseren Job erledigen, dann erklären wir Ihnen alles. Sie beide sind in eine laufende Ermittlung
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