Die zweite Tochter: Thriller (German Edition)
der Notaufnahme eines Kinderkrankenhauses das Richtige für sie. Dort könnte sie ihre schnelle Auffassungsgabe und Entscheidungsfreudigkeit sinnvoll einsetzen. Vielleicht würde sie auch Vollzeit arbeiten, jetzt, wo Megan älter war. Sie könnte das nächste Kapitel in ihrem Leben aufschlagen. Hoffentlich würde es besser als die Vergangenheit werden. Mit einer Liebe, die trotz allem vielleicht nie enden würde.
Wieder drehte sie sich um, es war zwecklos. Also stand sie auf und ging nach unten in die Küche. Nur das Zirpen der Grillen und die Fledermäuse, die gegen die Fliegengitter flogen, waren zu hören. Jill machte Licht und schaltete ihren Laptop ein. Das grelle Licht des Bildschirms tat ihren Augen weh. Der Ordner mit den Notizen zu Williams Laptop war noch geöffnet.
Meine Hochachtung, Frau Doktor.
Jill konnte nach diesem bittersüßen Tag einfach nicht zufrieden sein. Sie dachte an die Menschen, die ihr Leben verloren hatten. Sie dachte an die Mädchen. An Victoria, die mit ihrem toten Vater ins Reine kommen musste. An Abby, die beruflich einen neuen Weg einschlagen wollte, und an Megan, über die in dieser Woche so manches eingestürzt war. Allein schon die Sache mit Jake war starker Tobak.
Nur Rahul war ein Lichtblick. Zum Glück war sie beim Hinterfragen seiner Infektionsanfälligkeit unnachgiebig geblieben.
Ihr Blick fiel wieder auf die Medikamentenordner, die William angelegt hatte. Jill hatte sämtliche von ihnen auf ihren Laptop kopiert. Er hatte eine Menge Geld verdient, aber immer mehr gewollt. Dann hatte man ihn getötet. Sie sah auf den Bildschirm. Irgendetwas fühlte sich noch immer falsch an.
Aber was?
73
»Sam, wach auf«, flüsterte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. In Windeseile hatte sie geduscht, sich angezogen und Kaffee gekocht, dessen Aroma in der Luft hing. »Wach auf, ich muss mit dir reden.«
»Was?« Sam war noch nicht ganz wach. »Was ist denn in dich gefahren?« Sam sah auf den Wecker. »Schatz, es ist fünf Uhr in der Früh.«
»Ich weiß.« Jill rieb seinen Rücken. Draußen war es noch dunkel, aber bald würde es zu dämmern beginnen. Sie durften keine Zeit verlieren. »Beeil dich. Wir müssen weg.«
Sam setzte sich im Bett auf und blinzelte. Sein Haar war zerzaust. »Was ist los?«
»Ich habe etwas herausgefunden. Die Diagnose war falsch.« Jill schaltete die Nachttischlampe ein, Sam hielt sich die Hand vor die Augen.
»Wovon redest du?«
»Wir haben vergessen, die Erklärungen zu hinterfragen. Wir haben die erstbeste Antwort für die richtige gehalten.«
»Welche Diagnose? Und welche Antwort soll falsch sein?«
»Okay, hör mir zu.« Sie reichte ihm einen Becher Kaffee, den er ganz austrank, während sie ihm erzählte, was sie in der Nacht herausgefunden hatte. »Jetzt, wo ich die Wahrheit kenne, muss ich etwas unternehmen. Und zwar gleich heute Morgen. Machst du mit?«
Sam blinzelte. »Das willst du wirklich tun?«
»Unbedingt.«
»Gut, dann kannst du auf mich zählen.« Sam lächelte und schüttelte gleichzeitig den Kopf.
»Worauf warten wir dann noch?« Jill erwiderte sein Lächeln. »Los!«
Sam warf die Bettdecke von sich, und Jill suchte seine Kleider zusammen.
74
Jill betrat das Pharmacen-Gebäude durch den gläsernen Eingang und ging zum Empfang. Hinter dem Tisch aus Granit mit seinen Monitoren und Telefonen stand dieselbe attraktive junge Frau wie gestern. Sie erkannte Jill wieder.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie argwöhnisch.
»Ja. Und heute brauche ich auch keinen Termin. Ich bringe nur ein paar Dokumente für Elliott Horton.« Jill gab ihr eine Mappe, die Kopien einiger E-Mails enthielt, die William an sich selbst geschickt hatte. »Übergeben Sie ihm die Unterlagen bitte so schnell wie möglich.«
»Okay«, antwortete die Empfangsdame, doch ihr Blick ging bereits nach rechts. Wie beim letzten Mal näherte sich der Wachmann mit Unterlippenbärtchen.
»Hallo, Barry«, begrüßte Jill ihn mit einem Lächeln.
»Womit kann ich heute dienen, Miss?«, fragte er kühl.
»Es wäre sehr nett, wenn jemand diese Dokumente hier zu Mister Horton bringen könnte.«
»Dokumente?« Der Wachmann betrachtete die Mappe misstrauisch. »Was für Dokumente?«
»Nur Papiere, die Mister Horton sehen will.« Jill öffnete die Mappe und zeigte sie ihm. »Geht das in Ordnung?«
»Ich denke schon.« Der Wachmann nickte der Empfangsdame zu.
»Vielen Dank. Und geben Sie Elliott Horton die Dokumente bitte so schnell wie möglich. Ich bin dann
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