Die zweite Todsuende
zitternden Händen. Sie redeten über das Warum. Denn gestohlen war offensichtlich nichts. Alles, was offen herumstand, Transistorradio, tragbares Fernsehgerät, Silbersachen, war am alten Platz. Nichts angerührt, nichts mitgenommen.
Rebecca Hirsch kam mit weißem Gesicht in die Küche und hörte den letzten Teil ihrer Unterhaltung.
«Vielleicht hat ihn was erschreckt und er ist geflohen», meinte sie nervös. «Erst dringt er gewaltsam ein, sperrt die Mädchen in den Schrank. Dann kam vielleicht eine Streife vom Revier vorbei, oder er sah einen Funkwagen vorm Haus oder hörte eine Sirene und hat sich verdrückt.»
«So könnte es natürlich gewesen sein», sagte Sergeant Boone langsam und sah Delaney dabei an. «Ein Süchtiger mit'm Jibber, der sinn- und kopflos irgendwo einbricht.»
«Das wird's wohl gewesen sein», sagte der Chief, überzeugter, als er wirklich war. «Irgendein armes Schwein, das Geld für den nächsten Schuß klauen wollte. Unser Pech. Er bricht die Tür auf, dann kriegt er es mit der Angst und haut ab. Ohne den Mädchen etwas zu tun. Unser Glück! Ich werde dem morgen nachgehen. Vielleicht ist irgendwo anders in der Nachbarschaft eingebrochen worden.»
Keiner von ihnen glaubte daran.
Rebecca schwieg. Den Kopf tief zwischen den Schultern und in sich zusammengesunken saß sie da, die Hände zwischen den Knien gefaltet. Aber ihre Gesichtsfarbe gefiel Delaney überhaupt nicht.
«Ich glaube, ein Brandy würde uns allen guttun», sagte er munter. «Ein kleiner Schluck vom alten Seelentröster.»
Rebecca hob den Kopf. «Ich werde Monica ein Glas raufbringen. Und warme Milch für die Kinder.»
Der Chief erhob sich, ging in sein Arbeitszimmer hinüber. Es war das dritte Mal, daß er in der letzten Stunde hier hereinkam, aber jetzt erst sah er es. Er holte die anderen. Bestand darauf, daß sie alle ins Arbeitszimmer hineingingen und zeigte auf die Korkwand, auf der nur noch der Stadtplan zu sehen war.
«Das war's», sagte er. «Die drei Skizzen von Maitland, die wir in seinem Atelier gefunden haben. Und Jake Dukkers Zeichnung von dem jungen Modell. Deshalb also ist er gekommen. Und hat gekriegt, was er suchte.»
«Himmelherrgott!» stöhnte Boone.
14
Der Chief saß am Samstagmorgen in seinem Arbeitszimmer, las die Times und wartete geduldig, daß es endlich neun Uhr wurde, weil er meinte, früher könne er Ivar Thorsen unmöglich zu Hause anrufen. Doch dann klingelte sein eigenes Telefon schon eine Viertelstunde vor dieser Zeit.
«Hier spricht Edward X. Delaney.»
«Edward, hier ist Ivar. Ich habe gerade gehört, was passiert ist. Mein Gott, und das unmittelbar neben einem Polizeirevier! Alles in Ordnung mit euch? Monica? Die Kinder?»
«Es geht allen gut, Ivar. Vielen Dank. Keinem ist was passiert.»
«Gott sei Dank! Was wurde gestohlen?»
Delaney sagte es ihm. Einen Augenblick herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung. Dann …
«Wie reimen Sie sich das zusammen, Edward?»
«Es könnte sein, daß es dem Einbrecher ausschließlich um den reinen Verkaufswert von Maitlands letzten Zeichnungen geht. Aber das bezweifle ich. Dukkers Zeichnung hat er nämlich auch mitgehen lassen. Ich glaube, es war der Mörder oder jemand, den der Mörder gedungen hat. Hat Boone Ihnen berichtet, Ivar?»
Wieder ein kurzes Schweigen. Dann: «Ja, hat er, Edward. Ich wollte Sie nicht belästigen …»
«Ist schon in Ordnung. Dann kann ich mich kurz fassen. Der Einbruch fand während der Vernissage der Maitland-Gedächtnisausstellung in der Galerie Geltman statt. Es waren alle dort versammelt, die irgendwie mit dem Fall zu tun haben. Aber es war ein fürchterliches Durcheinander. Jeder, den wir verdächtigen, hätte sich zwischendurch verdrücken, mit dem Taxi hierherfahren und innerhalb einer halben Stunde wieder zurück sein können. Wenn er nicht jemand beauftragt hat.»
«Irgendwie riskant. Unmittelbar neben einer Polizeiwache.»
«Sicher ist es riskant. Also war es wohl wichtig. Ich glaube übrigens, es ist genau das geschehen, was wir gehofft hatten: diese spanisch sprechende Frau mit dem jungen Mädchen hat den Mörder an dem bewußten Freitag gesehen. Entweder im Umkreis des Ateliers oder sogar im Haus, vielleicht auf der Treppe. Der Mörder sieht die Skizzen, erinnert sich an die Frauen und weiß, daß die ihn möglicherweise beschreiben können. Deshalb holt er sich die Skizzen und meint, wir hätten keine Chance mehr, die Zeugen zu finden. Allerdings weiß er nichts von den Fotokopien, die
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