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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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allergrößte», sagte sie laut, hob den Kopf und blickte ihn direkt an. «Im Nachruf der Times hieß es, er sei der größte amerikanische Künstler seiner Generation.»
    Sie war, wie Delaney jetzt bemerkte, eine stattliche Frau und saß in betont straffer Haltung auf der Kante der mit beiger Wolle bezogenen Couch, ohne sich anzulehnen. Die Hände hielt sie sittsam im Schoß gefaltet, die Knie eng aneinander, die Beine leicht seitlich gestellt.
    Sie trug ein hochgeschlossenes Kleid mit langen Ärmeln aus schwarzer Rohseide. Strümpfe oder Strumpfhose glänzten schwarz. Schwarze Schuhe. Kein Schmuck. Wenig Make-up. Was sie davor bewahrte, ein reines Schwarz-Weiß-Bild abzugeben, war ihr üppiges kupferrotes Haar, das sie, zu einem Zopf geflochten, mehrmals um den Kopf gewunden hatte. Diese Haarkrone gab ihr, im Verein mit ihrer majestätischen Haltung, das Aussehen einer Königin.
    Ihre Züge wirkten auf Delaney schön, ohne indes anziehend zu sein. Allzu spröde. Allzu korrekt. Allzu vollkommen in ihrer marmornen Glätte. Ein Pickel hätte dieses Gesicht vielleicht sympathischer erscheinen lassen. Doch ihr Teint war makellos wie altes Porzellan. Große Augen, wie gewässerte Steine. Eine Miene von nahezu stumpfsinniger Gelassenheit. Unter dem schwarzen Kleid die Andeutung eines vollen Busens und üppiger Hüften. Gesicht, Haltung und Betragen verrieten eine geradezu exemplarische Humorlosigkeit. Sie hätte ihrem Mann bestimmt nie mit dem Zahnstocher einen Zettel ans Roastbeef geheftet.
    «Mrs. Maitland», hob Delaney an, «ich bedauere, daß es sich als notwendig erweist, Sie in Ihrem Kummer noch einmal zu behelligen, doch die Untersuchung des Mordes an Ihrem Gatten geht weiter, und ich bezweifle keinen Moment, daß Sie jede Unbequemlichkeit auf sich nehmen werden, wenn es darum geht, jene Person oder Personen der Gerechtigkeit zu überantworten, die für dieses heimtückische Verbrechen verantwortlich sind.»
    Er bediente sich ganz bewußt einer hochgestochenen, preziösen Ausdrucksweise, weil er vermutete, bei dieser Frau damit das beste Resultat zu erzielen. Sein Instinkt trog ihn nicht.
    «Alles», sagte sie und hob das Knie. «Alles, was ich vermag.»
    «Mrs. Maitland, ich habe Ihre in den Akten festgehaltenen Aussagen sorgfältig gelesen. Ich möchte mir erlauben, Ihnen jetzt eine kurze Zusammenfassung dieser Aussagen zu geben und bitte Sie, mir anschließend zu sagen, ob meine Darstellung korrekt ist. An jenem Freitag, an dem Ihr Gatte ermordet wurde, verließ er diese Wohnung ungefähr gegen neun Uhr früh. Er sagte zu Ihnen, er gehe ins Atelier, habe am Nachmittag um drei eine Verabredung in der Galerie Geltman und werde zwischen sechs und sieben Uhr abends wieder zu Hause sein. Sie selbst verließen die Wohnung etwa gegen zehn Uhr und waren den Vormittag über mit Einkäufen beschäftigt. Um halb zwei trafen Sie sich im Le Provençal in der East 62nd Street mit einer Freundin zum Mittagessen. Nach dem Essen nahmen Sie ein Taxi und fuhren hierher zurück. Gegen vier Uhr nachmittags rief Saul Geltman an und fragte, ob Sie wüßten, wo Ihr Gatte sei. Ist das soweit zutreffend?»
    «Ja, Mr. Delano», bestätigte sie, «ich be …»
    «Delaney», unterbrach er sie. «Edward X. Delaney.»
    «Verzeihung», sagte sie. Ihre Stimme hatte ein tiefes Timbre, rauh, doch eigentümlich trocken. «Ich nehme an, Mr. Delaney, Sie haben meine Aussagen nachgeprüft?»
    «Das haben wir.» Er nickte ernst. «Der Portier bestätigt die Zeit Ihres Ausgangs. Ihre Freundin bestätigt, daß sie zur angegebenen Zeit und am angegebenen Ort mit Ihnen zu Mittag gegessen habe. Und in jenem Restaurant erinnert man sich gleichfalls daran. Leider ist es uns nicht gelungen, Zeugen zu finden, die bestätigen könnten, daß Sie zwischen zehn und halb zwei wirklich Einkäufe machten.»
    «Ich bin bei Sak, Bonwit, Bergdorf und Gucci gewesen», sagte sie. «Allerdings habe ich nichts gekauft. Und ich kann mir auch nicht vorstellen, daß jemand dort sich an mich erinnert; die Geschäfte waren so voll.»
    «Ganz recht», sagte er. Es entstand eine kleine Pause, und er beugte sich mit gewichtiger Miene etwas vor. «Das ist aber durchaus verständlich, Mrs. Maitland. Sie haben schließlich nichts gekauft, keine Kleider anprobiert, mit keiner Verkäuferin gesprochen. Also ist es ganz natürlich, daß niemand sich Ihrer Anwesenheit in diesen Geschäften erinnert. Sie haben doch keine Kleider anprobiert, nicht wahr?»
    «Nein, das habe ich nicht. Ich

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