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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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behalten Sie Platz», sagte er dabei drängend und winkte ihnen, sitzen zu bleiben, «kostet Sie mindestens fünf Minuten, sich aus diesen Sesseln hochzurappeln. Sergeant Boone, freut mich, Sie wiederzusehen. Und Sie müssen Mr. Delaney sein?»
    «Richtig. Nett von Ihnen, daß Sie uns empfangen. Man sieht, daß Sie sehr beschäftigt sind.»
    «Hören Sie, Chief», sagte Geltman und eilte wieder hinter seinen Schreibtisch. «Ich bin jeden Wochentag für Sie zu sprechen und sonntags zweimal, wenn Sie wollen. Hauptsache, die Behörden vergessen Victor Maitland nicht.»
    «Wir haben ihn nicht vergessen», versicherte Delaney.
    «Das freut mich zu hören.» Geltman legte die Zeigefinger zusammen, betupfte die Lippen, richtete sich auf und stieß einen Seufzer aus. «Der Ärmste!»
    «Was für ein Mensch war er eigentlich?» fragte Delaney.
    «Was für ein Mensch?» wiederholte Geltman. Er sprach schnell, versprühte dabei gelegentlich etwas Speichel. «Rein menschlich betrachtet ein gräßliches und erschreckendes, niederträchtiges, verachtenswertes, herzloses Ungeheuer. Als Künstler ein Riese, ein Heiliger, ein Gott, das einzige echte Genie, dem ich in den letzten zwanzig Jahren in meinem Beruf begegnet bin, unter lauter Blendern. In hundert Jahren bin ich ein Nichts, meine Herren. Staub. Victor Maitland aber ist dann wer. Seine Bilder in den Museen. Bücher über ihn. Unsterblich. Wie David und Rubens. Mein voller Ernst.»
    «Dann haben Sie sich also seiner Begabung zuliebe mit seinem miesen Charakter abgefunden?» erkundigte Delaney sich.
    «Nein.» Geltman lächelte. «Mit seinem miesen Charakter habe ich mich des Geldes wegen abgefunden, das er mir einbrachte. Vor fünfzehn Jahren hatte ich eine Galerie in der Macdougal Street in Greenwich Village. Was heißt Galerie: ein Loch in der Wand! Ein paar schlechte Originale hab ich für ein Ei und ein Butterbrot verkauft, vor allem aber hab ich billige Reproduktionen verscherbelt. Van Goghs Sonnenblumen und Monets Seerosen. Dann trat Victor Maitland in mein Leben, und heute habe ich eine Viertelmillion Schulden, drei Prozesse am Hals, und meine geschiedene Frau droht mit einer Unterhaltsklage. So was nennt man Erfolg … oder etwa nicht?»
    Sie lachten mit ihm; es war schwer, dem zu widerstehen. Seine sprühende Vitalität ließ den kleinen Mann größer erscheinen, als er war. Er zappelte unentwegt, rutschte in sich zusammen, reckte sich, gestikulierte, trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischplatte, schlug die Beine übereinander, um sich am Fußgelenk zu kratzen, zupfte am Ohrläppchen, glättete die grau-braunen Strähnen, die nur noch an den Seiten wuchsen und den sonst kahlen Schädel notdürftig bedeckten.
    Er trug einen hervorragend gearbeiteten saloppen Anzug aus feinstem braunem Tuch und einen glänzenden weißen Rollkragenpullover. Seine kleinen Füße steckten in bequemen Slippern von Gucci, und Delaney entging nicht das goldene Armband aus schweren Kettengliedern, das locker um sein schmales Handgelenk hing.
    Sein Kopf schien übermäßig groß, die Züge wenig ausgeprägt. Ein großflächiges Gesicht, aber kleine Augen, kleine Nase und kleiner Mund, ein Kürbis, in den man mit einem Taschenmesser kleine Öffnungen geschnitten hatte. Die Stimme jedoch, mit der dieses zwar häßliche, doch nicht abstoßende Männchen dröhnend sprach, klang herzlich, zutraulich und voller Humor; offenbar konnte er über sich selbst lachen.
    «Es stimmt nicht ganz», fuhr er fort und verhaspelte sich beinahe n seinem Eifer, «daß ich mich nur des Geldes wegen mit Maitlands Gemeinheiten abgefunden habe. Teilweise schon, doch nicht ganz. Mein Einkommen verdanke ich hauptsächlich ihm, das leugne ich nicht. Aber ich habe auch noch andere Maler unter Vertrag und komme ganz gut zurecht. Hätte Maitland mich sitzengelassen, ich wäre keineswegs verhungert. Er ist ja nun auch tot, aber mein Geschäft läuft weiter. Die Provision von seinen Bildern war mir sehr willkommen, das gebe ich gern zu. Aber das ist noch nicht alles … Als Junge wollte ich Geiger werden.» Er streckte eine Hand aus, den Handteller nach oben gekehrt. «Ein zweiter Yehudi Menuhin wollte ich werden, so wahr mir Gott heife. Ich hab geübt und geübt, aber eines Tages, mitten in einem Violinkonzert von Bach, legte ich plötzlich die Fiedel beiseite und hab sie nicht mehr angerührt. Womit ich nicht sagen will, daß ich schlecht gewesen wäre, ich hatte nur nicht das Zeug dazu; zum Glück aber soviel Grips,

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