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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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als nur das… Es handelte sich um leidenschaftliche, intelligente, gierige Menschen, mit ihrem Hunger und ihren Illusionen durchaus zu begreifen. Niemand, den er hätte hassen können. Keiner, den er gern des Mordes überführt hätte.
    Sein Mitgefühl verunsicherte ihn. Ein Polizeibeamter wurde nicht dafür bezahlt, daß er Mitgefühl hatte. Ein Polizeibeamter hatte die Dinge schwarz und weiß zu sehen. Unbedingt! Erklärungen und Rechtfertigungen waren Sache der Ärzte und Psychiater, Soziologen, Richter und Geschworenen. Sie wurden dafür bezahlt, auch die Schatten, das Grau wahrzunehmen und in Rechnung zu stellen.
    Für den Kriminalisten hingegen gab es nur Ja und Nein. Weil… nun, weil es eben einen unerschütterlichen Standard, ein eisernes Gesetz geben mußte. Danach hatte ein Polizeibeamter sich zu richten; er konnte es sich nicht erlauben, Trost zu spenden, jemandem auf die Schulter zu klopfen und Tränen zu trocknen. Das taten die anderen, diejenigen, die es sich leisten durften, Erbarmen zu zeigen. Sie verwässerten den Standard, glätteten die Kanten, fanden mildernde Umstände. Handelte die Polizei ebenso, würde von vornherein alles geglättet, verwässert, gemildert, die Gesellschaft löste sich auf zu einem warmen Brei: keine Kanten mehr, nichts Unverrückbares, und wer konnte schon in einer solchen Welt leben? Das wäre die Anarchie, der Dschungel!
    Er zog seinen gelben Block heran, setzte die starke Lesebrille auf und machte Notizen. Es galt nach wie vor, den Mörder von Victor Maitland zu finden.
    Gegen Mitternacht klingelte der Apparat auf seinem Schreibtisch. Er griff mit der Linken nach dem Hörer und schrieb mit der Rechten weiter.
    «Delaney», meldete er sich.
    «Edward, hier spricht Ivar …»
    Der Stellvertretende Commissioner Thorsen plauderte ein wenig, erkundigte sich nach dem Wohlergehen von Monica und den Kindern und fragte dann wie beiläufig: «Und wie macht sich Boone?»
    «Ganz gut», sagte Delaney. «Er gefällt mir.»
    «Freut mich zu hören. Er ist weg vom Schnaps, oder?»
    «Soweit ich weiß, ja. Wenn ich ihn sehe, ist er immer völlig nüchtern.»
    «Kein Kater?»
    «Nein.» In dieser Rolle sah Delaney sich gar nicht gern; er war schließlich nicht Boones Aufpasser; es bereitete ihm keineswegs Vergnügen, über das Verhalten des Mannes zu berichten.
    «Irgendwelche Fortschritte, Edward?»
    «Was den Fall betrifft? Noch nichts Definitives. Ich fange erst an, mir ein Bild von den Vorgängen und von den Menschen zu machen, die damit zu tun haben. Das braucht seine Zeit.»
    «Ich will Sie nicht unter Druck setzen, Edward», beeilte Thorsen sich zu sagen. «Nehmen Sie sich Zeit. Nur nichts überstürzen.»
    Danach entstand eine kleine Pause. Delaney ahnte, was nun kommen würde, wollte Thorsen aber nichts ersparen.
    «Ah … Edward», sagte Thorsen zögernd, «Sie haben heute die Sarazen vernommen?»
    «Ja.»
    «Gehört sie zu den Verdächtigen?»
    «Verdächtig sind alle», sagte Delaney kühl.
    «Hm, tja, wir sind da in einer etwas heiklen Lage, Edward.»
    «Wirklich?»
    «Die Dame hat einflußreiche Freunde. Und findet offenbar, daß Sie wenig zartfühlend mit ihr umgesprungen sind.»
    Delaney sagte nichts dazu.
    «Stimmt das, Edward?»
    «Vermutlich hat sie es so empfunden.»
    «Ja, das hat sie. Und sie hat ein paar Leute angerufen, um sich zu beschweren. Sie hat gesagt…» Thorsen verstummte.
    «Möchten Sie, daß ich den Fall abgebe?» fragte Delaney unbeeindruckt.
    «Um Himmels willen, nein!» sagte Thorsen rasch. «Nichts dergleichen. Ich wollte nur, daß Sie Bescheid wissen.»
    «Dessen bin ich mir durchaus bewußt.»
    «Und Sie werden …»

    «Ich werde sie behandeln wie alle anderen auch», schnitt Delaney ihm das Wort ab.

    «Mein Gott, Edward, Sie sind ein Starrkopf. Sie lassen sich durch nichts erweichen. Hören Sie, wenn die Dame schuldig ist, dann wird es mir ein Vergnügen sein zu sehen, wie sie an den Füßen zuerst aufgehängt und ihr das Fell über die Ohren gezogen wird. Ich bitte Sie nicht, irgendwas zu vertuschen. Ich bitte Sie nur, ein bißchen Feingefühl walten zu lassen.»
    «Ich mache es auf meine Art», sagte Delaney hölzern. «Genau diese Dinge haben mich dazu bewogen, vorzeitig in Pension zu gehen. Ich hab es jetzt nicht mehr nötig, falsche Rücksichten zu neen.»
    «Ich weiß, Edward», sagte Thorsen und seufzte. «Ich weiß. Na schön … machen Sie's auf Ihre Weise. Ich werde sehen, daß ich Sie aus der Schußlinie rauskriege. Irgendwie.

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