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Die zweite Todsuende

Die zweite Todsuende

Titel: Die zweite Todsuende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Sanders
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typisches Gewaltverbrechen. Gedankenlos wie einer, der bis obenhin mit Rauschgift vollgepumpt ist. Geben Sie nicht allzuviel auf dieses ‹Denken›. Wir fassen ihn schon. Oder sie.»
    «Glauben Sie, der Mörder hat durchgedreht?»
    «Das bezweifle ich», sagte Delaney. «Ich hoffe ganz einfach auf einen Zufall. Etwas, was man nicht vorhersehen oder einplanen kann. Dabei fällt mir Evelyn Forrest in Chilton ein, das ist ein Nest unweit der Militärakademie West Point. Forrest vertritt die Polizei in Chilton, mutterseelenallein. Ein altgedienter Mann, der Bier über alles liebt. Ich hoffe, er lebt noch.
    Der hat mir mal von einem sehr hübschen Fall erzählt. Ein emeritierter Professor kaufte für sich und seine zweite Frau und seine Stieftochter in der Nähe von Chilton ein altes Farmhaus mit etwas Land drum herum. Der Professor schreibt an einer Biographie von Thoreau, treibt es nebenher aber mit der Stieftochter. Er beschließt, die Frau um die Ecke zu bringen und das Ganze als Unfall hinzustellen. Die Voraussetzungen sind günstig: auf dem Grundstück haben sie einen kleinen Apfelgarten, der von Kindern aus der Nachbarschaft und auch von Fremden gern geplündert wird. Die holen nicht etwa Fallobst, sondern pflücken die Apfel vom Baum. Also kauft unser Professor eine Schrotflinte, und wenn jemand bei ihnen Äpfel klaut, ballert er in den Garten. Nur so, zur Abschreckung, um den Gören Angst zu machen. Der Frau zeigt er, wie sie mit der Flinte umgehen soll, wenn er mal nicht da ist. Eines Spätnachmittags nun macht er mit seiner Frau einen kleinen Rundgang durch den Garten und erschießt sie dabei aus nächster Nähe. Er trägt Handschuhe, drückt ihr die Flinte in die Hand, damit ihre Fingerabdrücke dran sind, rennt zurück ins Haus, versteckt die Handschuhe und telefoniert nach der Polizei. Seine Frau sei gestolpert, behauptet er, dabei sei die Flinte losgegangen und das Unglück geschehen. Forrest kommt und sieht sich um. Er hält die Sache für nicht ganz koscher, kann die Behauptungen des Professors aber nicht widerlegen. Tage später bringt ein Farmer aus der Gegend sein völlig verängstigtes Kind zu ihm, und das erzählt die Geschichte ein bißchen anders. Der Knabe hatte nämlich in einem Baum gehockt, Äpfel geklaut und alles gesehen. Soviel zum Thema umsichtige Planung …»
    An diesem Abend, die Mädchen übernachteten bei Freundinnen, aßen Monica und Delaney allein in der Küche. Monica versuchte, ein Gespräch anzuknüpfen, als er sich entschuldigte, in sein Arbeitszimmer ging und die Tür hinter sich zumachte. Sie kannte seine Stimmungen. Er spürte sein Alter, es lastete auf ihm, machte ihm zu schaffen. Seine Gelenke knackten. Ihm war, als versinke er in seinem Sessel, so beschwert und lustlos fühlte er sich. Unversehens erschien vor seinem geistigen Auge das junge Mädchen, das sich auf einen rosaroten Sonnenschirm stützte. Die gebräunte Haut ihres nackten Rückens. Er schüttelte den schweren Schädel und machte sich verbissen daran, die Gespräche mit Belle Sarazen und Jake Dukker zu Papier zu bringen.
    Als er damit fertig war, nahm er die drei in Victor Maitlands Atelier gefundenen Skizzen, befestigte sie auf einer Korktafel und drehte die Schreibtischlampe, bis ihr Schein auf die Zeichnungen fiel. Dann setzte er sich und starrte sie an.
    Jugend. Saft und Kraft. Strotzendes Leben. Eingefangen von den harten, nervösen Strichen eines rastlosen Malers, der danach gierte, es zu besitzen und der es zur Anschauung bringen wollte. Ein Getriebener sei Maitland gewesen, hatte Dukker gesagt. Das glaubte Delaney ihm gern. Nach allem, was er gehört hatte, konnte er den Mann, der jetzt tot war, allmählich vor sich sehen, den Maler, den Künstler Victor Maitland. Diese begabte Hand, die jetzt verweste und vor noch gar nicht langer Zeit zugepackt hatte. Möglich, daß er ein Scheusal gewesen war, boshaft, oft betrunken, womöglich sadistisch. Aber kein Gesetz schreibt vor, daß nur Heilige Talent haben dürfen.
    Bestürzt gestand Delaney sich ein, daß er Sympathie empfand, nicht nur für das Opfer, sondern auch für andere, die mit diesem Mord zu tun hatten. Einer davon, das glaubte er fest, hatte mit der Klinge zugestoßen. Und doch, irgendwie fand er sie sympathisch - Mrs. Maitland, Saul Geltman, Belle Sarazen, Jake Dukker. Und vermutlich würde er auch Maitlands Sohn, seine Mutter und seine Schwester mögen, wenn er sie kennenlernte.
    «Sie denken», hatte Sergeant Boone gesagt. Aber es war mehr

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